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WeChat

App für alles

Wechat_2018tt_00772 © (C)2017 Thomas Tjiang

Online in China: Stefan Geiger (Chinaforum Bayern), Dr. Manuel Hertel (IHK), Sven Spöde und Liu Lingfang (Agentur Storymaker) sowie Hannah Weckemann (Chinaforum).

Die App WeChat ist in China aus dem täglichen Leben und aus der Geschäftswelt nicht mehr wegzudenken.

Von Deutschland schaut man oft neidisch auf die US-Riesen aus dem Silicon Valley, die wie Facebook, WhatsApp, Uber & Co. marktdominierende Geschäftsmodelle für die digitale Welt entwickelt haben. Blickt man allerdings nach Osten in das Reich der Mitte, lassen sich chinesische Digitalunternehmen entdecken, die ihren amerikanischen Pendants durchaus die Stirn bieten können. Immerhin sind im vergangenen Jahr mit dem Online-Händler Alibaba und dem Internet-Unternehmen Tencent Holdings mit seinem WeChat-Imperium erstmals zwei chinesische Konzerne in die Top Ten der weltweit wertvollsten Unternehmen aufgestiegen.

Die amerikanische WhatsApp wird oft mit der chinesischen WeChat gleichgesetzt, allerdings könne die „Wunder-App aus China“ viel mehr, so Liu Lingfang von der Tübinger Storymaker Agentur für Public Relations GmbH. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Sven Spöde berichtete sie bei einem Workshop des Chinaforum Bayern e. V. in der IHK Nürnberg über die vielfältigen Einsatzgebiete der App.

Welche digitalen Möglichkeiten WeChat bietet, demonstrierte Liu Lingfang, indem sie über den ersten Besuch ihrer Familie in Deutschland im letzten Jahr berichtete. Sie wollte von Deutschland aus noch Tipps für den Behördengang wegen der Reisedokumente geben, das erwies sich aber als überflüssig. Denn der chinesische Reisepass kann per WeChat beantragt und der Bearbeitungsstaus online verfolgt werden. Genauso kann auf diese Weise der Führerschein übersetzt und beglaubigt werden. Der Flug inklusive Reiseversicherungen und Hotelübernachtungen wurde über die Alibaba-Tochter Feizhu gebucht, die Rechnung wurde mit der Bezahl-App Alipay beglichen, ebenfalls eine Tochter von Alibaba. Die Ausleihe eines mobilen WiFi-Routers für die Reise über Feizhu war in diesem Fall kostenlos, weil ein Familienmitglied durch viele Alipay-Transaktionen ein hohes Punktekonto aufgebaut hatte. Auch die Buchung eines Leihwagens von Sixt war kein Problem: Der international tätige Autoverleiher betreibt bei WeChat einen sogenannten „Official Account“ – eine eigene Firmenpräsenz in der chinesischen Social-Media-Welt.

Das Beispiel zeigt, dass die Möglichkeiten von WeChat, Alibaba und der chinesischen Suchmaschine Baidu weit über die rein private Nutzung hinausgehen. Deshalb nutzen viele chinesische und immer mehr deutsche Unternehmen WeChat für ihre Marketing-, Vertriebs- und Produktstrategie und sprechen damit interaktiv und zielgerichtet ihre Kunden an. Allein WeChat hat über 900 Mio. Nutzer und ist aus dem Geschäftsalltag und dem täglichen Leben der chinesischen Bevölkerung nicht mehr wegzudenken. Fast jeder zweite Nutzer ist täglich über vier Stunden auf WeChat zugange, so aktuelle Analysen.

Mini-Programme statt App-Stores

Gestartet ist WeChat im Jahr 2011 zunächst als Messengerdienst für Textnachrichten, berichtete Sven Spöde. Ein Jahr später kam die Funktion „Official Accounts“ dazu, die vielfach die Firmen-Homepage ersetzt und über die sich auch die Marketing-Aktivitäten steuern lassen. Marketing-Newsletter, wie sie in Deutschland gern versendet werden, sind dagegen in China nicht populär. 2013 wurde die mobile Bezahlfunktion WeChat Pay freigeschaltet, ein Jahr später kam eine Plattform für Flug- und Hotelbuchungen sowie für den Taxi-Ruf hinzu. Von seinen China-Aufenthalten weiß Spöde, dass ohne App kein Taxi mehr zu bekommen ist. Er musste einen Passanten auf der Straße um Hilfe bitten. Im vergangenen Jahr startete WeChat mit sogenannten Mini-Programmen, laut Spöde ein Angriff auf die klassischen App-Stores. Die Mini-Programme integrieren als eine Art „App in der App“ Websites oder Spiele in die reine WeChat-Welt. Mittlerweile gibt es über 520 000 dieser Mini-Programme mit den verschiedensten Anwendungen, die nach Spödes Einschätzung täglich von 170 Mio. Nutzern verwendet werden. Über diese Programme lassen sich beispielsweise Leihfahrräder finden und entsperren oder die nächsten Toiletten anzeigen.

Geschäftliche Kommunikation

WeChat hat sich nicht nur als privater Nachrichtendienst etabliert, sondern auch als Werkzeug für die „Work Communication“ – also für die firmeninterne Kommunikation sowie die Kommunikation mit Geschäftspartnern und Kunden. Auch die digitale Geldbörse gehört sowohl beim Online-Kauf als auch beim stationären Shopping zum Alltag der Chinesen. Social-Media-Angebote, Medien und Nachrichten sowie Blogger sind ebenfalls integriert.

Den Unternehmen rät Spöde zur Eröffnung eines „Official Accounts, um Flagge auf dem chinesischen Markt zu zeigen. Dafür gibt es den sogenannten „chinesischen Weg“, bei dem man als Inhaber einer chinesischen Geschäftslizenz etwa in Form einer chinesischen Niederlassung oder Firmenbeteiligung zu einem WeChat-Account kommt. Dann muss man sich zwischen einem „Subscription Account“ und einem „Service Account“ entscheiden. Der „Subscription Account“ rückt vereinfacht gesagt das Content-Marketing in den Fokus, um Follower zu generieren oder eine Marke bekannt zu machen. Der „Service Account“ ermöglicht neben Serviceleistungen den Produktverkauf direkt über einen WeChat-Shop. Für beide Varianten ist anders als bei westlichen Plattformen ein mehrstufiger Prozess zur Registrierung notwendig. Am Ende findet eine Verifizierung statt, bei der sich gemäß chinesischem Internet-Recht jeder rechtlich verantwortliche Anbieter persönlich ausweisen muss. Deutsche Unternehmen greifen dabei oft auf die Identität eines chinesischen Mitarbeiters zurück, wovor Spöde warnt, denn der „Official Account“ gehöre immer dem Lizenzinhaber. Die Folge: Im Streitfall habe man keine Rechte etwa auf die gesammelten Kundendaten.

Der Weg aus dem Ausland zu einem eigenen „Official Account“ für den chinesischen Markt ist seit dem vergangenen Jahr möglich. Dafür werden u. a. eine Firmenbeschreibung und ein Mindestwerbebudget von 20 000 Euro benötigt. Für die Account-Registrierung sind in einem mehrstufigen Verfahren Firmendokumente und bestimmte Nachweise notwendig.

Außerdem besteht die Möglichkeit, über die Internet-Adresse apply.wechat.com einen vermeintlichen „Official Account“ bei WeChat zu erstellen. Dieser Weg führt aber nicht auf den chinesischen Markt, sondern ist nur außerhalb Chinas in Südostasien sichtbar und geht damit am eigentlichen Ziel vorbei. Nur mit einem echten „Official Account“ von WeChat, etwa einem „Service Account“, können Unternehmen in China beispielsweise Anfragen von Unternehmenskunden abwickeln, wenn die Kundendatenbank mit dem Account verbunden wird. Auffällig sind nach Spödes Beobachtung die allgegenwärtigen QR-Codes in der Kundenkommunikation oder auf Maschinen oder Einzelteilen. Sie führen über WeChat etwa zu Produkttrainings und zum Handbuch oder stellen den Kontakt zum Kundenservice her. Wird beispielsweise ein Maschinencode gescannt, kann der Hersteller sofort den Typ mit Seriennummer und weiteren Angaben sehen. Für Spöde ist klar: „WeChat ist nicht einfach, aber es lässt sich viel Mehrwert erzielen.“

Zu beachten ist auch, dass das Internet-Recht in China seine Eigenheiten hat. Viele Social-Media-Anbieter aus den USA sind dort deshalb allenfalls mit einem abgespeckten Angebot – etwa bei den Smartphone-Apps – aktiv. Zu den Besonderheiten zählt, dass eine Internet-Plattform für die Inhalte haftet, die über sie angeboten werden. Die bei der Veranstaltung geäußerte Vermutung, WeChat sei eine Überwachungs-App, will Spöde aber nicht gelten lassen: „Es ist eine Marketing-App.“ Gleichwohl bekämen Internet-Behörden Zugriff auf Daten, wie dies auch in den USA der Fall sei.

Autor/in: 

(tt.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2018, Seite 28

 
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