1. Der Anwendungsbereich des Diskriminierungsschutzes ist gem. § 19 Abs. 1 AGG hinsichtlich der Benachteiligungsgründe Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität zunächst beschränkt auf
- Massengeschäfte (Verträge mit Hotels, Gaststätten, Kaufhäusern),
- vergleichbare Schuldverhältnisse und
- alle privatrechtlichen Versicherungen.
Massengeschäfte sind nach dem Gesetz Geschäfte, bei denen das Ansehen der Person keine oder nur eine nachrangige Rolle spielt und die typischerweise deshalb auch „zu vergleichbaren Bedingungen“ begründet und durchgeführt werden. Insbesondere im Bereich der Konsumgüterwirtschaft und bei standardisierten Dienstleistungen kommen Verträge typischerweise ohne Ansehen der Person zustande: Im Einzelhandel (Einkauf im Supermarkt), in der Gastronomie oder im Transportwesen schließen Unternehmer im Rahmen ihrer Kapazitäten Verträge ohne weiteres mit jeder zahlungswilligen und zahlungsfähigen Person, ohne dass nach den oben erwähnten Diskriminierungsmerkmalen unterschieden würde. Kein Massengeschäft liegt beispielsweise bei Kreditgeschäften vor, da Vertragspartner hier regelmäßig individuell nach vielfältigen Kriterien ausgesucht werden.
Es geht bei Massengeschäften nicht um einmalige Sachverhalte, sondern um Fälle, die häufig auftreten. Wichtige Voraussetzung für die Einordnung als Massengeschäft ist deshalb auch die Feststellung, dass es sich um ein Geschäft handelt, das typischerweise eine „Vielzahl von Fällen“ betrifft. Damit sind in der Regel nur diejenigen Leistungen vom allgemeinen zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot erfasst, die von Unternehmen erbracht werden, also von natürlichen oder juristischen Personen, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Selbständigkeit handeln (§ 14 BGB). Der private Bereich wie der Verkauf eines gebrauchten Autos ist damit ausgenommen (siehe aber auch unten Ziffer 2).
Die Einordnung als Massengeschäft erfolgt nach einer allgemeinen typisierenden Betrachtungsweise. Keine Rolle für die Anwendbarkeit der Vorschrift spielt deshalb, ob der Unternehmer von vorneherein nach den Merkmalen differenziert oder ob einzelne Vertragspartner aufgrund besonderen Verhandlungsgeschicks im Einzelfall Sonderbehandlungen erreichen. So sind etwa Freizeiteinrichtungen (Badeanstalten, Fitnessclubs etc.) typischerweise für Angehörige jeden Geschlechts und Alters zugänglich. Eine Differenzierung im Einzelfall nach den Diskriminierungsmerkmalen (z.B. gesonderte Öffnungszeiten in einer Badeanstalt nur für Frauen, Altersbeschränkungen bei der Aufnahme in einen Fitnessclub) ist also nur zulässig, sofern sie nach § 20 AGG wegen eines sachlichen Grundes gerechtfertigt ist (s.u.).
Differenzierungen, die zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten dienen und Diskriminierungsmerkmale des § 1 betreffen (z.B. ein Mindestalter aus Gründen des Jugendschutzes), sind selbstverständlich ohne weiteres zulässig.
Es ist zu unterscheiden: Vertragsspezifische Bedingungen oder Differenzierungen, die weder unmittelbar noch mittelbar an die in § 1 genannten Merkmale anknüpfen, sind nicht benachteiligend und damit i.d.R. zulässig.
Beispiel: Ein Taxifahrer muss einen Fahrgast mit extrem verschmutzter Kleidung nicht befördern; ein Gastwirt kann einen nicht der Kleiderordnung entsprechend gekleideten Gast abweisen oder einen randalierenden Besucher aus der Gaststätte weisen.
Vergleichbare Schuldverhältnisse sind solche, bei denen das „Ansehen der Person“ zwar eine Rolle spielt, diese Voraussetzung jedoch eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (z.B. großer Mietwagenservice).
Privatversicherungen können zwar strukturell auch Massengeschäfte sein (z.B. Reisegepäckversicherungen), auf jeden Fall werden sie, wenn mit dem angebotenen Versicherungsschutz typischerweise die Ermittlung von Risikoindikatoren verbunden ist, durch die Spezialvorschrift des § 19 Abs. 1 Ziffer 2 AGG erfasst.
2. § 19 Abs. 2 AGG erstreckt den Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots bei Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft darüber hinaus auf den Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, Bildung sowie Schuldverhältnisse aller Art, welche den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zum Gegen-stand haben, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Mit Dienstleistungen sind nicht nur Dienst- und Werkverträge (§§ 611, 631 BGB) gemeint. Erfasst sind damit auch Geschäftsbesorgungsverträge, Mietverträge und Finanzdienstleistungen, also auch Kredit- und Versicherungsverträge, Leasingverträge etc. Güter und Dienstleistungen werden praktisch dann der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, wenn ein Angebot zum Vertragsschluss durch Anzeigen in Tageszeitungen, Schaufensterauslagen, Veröffentlichungen im Internet oder auf vergleichbare Weise öffentlich gemacht wird. Damit fallen hierunter nach der offiziellen Gesetzesbegründung auch Geschäfte Privater, sofern der Vertragsschluss öffentlich angeboten wird, etwa der Verkauf eines gebrauchten privaten PKW über eine Zeitungsannonce.
3. Ausgenommen vom Anwendungsbereich der gesetzlichen Diskriminierungsvorschriften sind familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse sowie Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen (Eltern, Kinder, Ehe- und Lebenspartner, Geschwister) begründet wird. Nach dem Gesetzeswortlaut soll diese Voraussetzung beispielsweise bei Mietverhältnissen erfüllt sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen.
4. Bei der Vermietung von Wohnraum zum nicht nur vorübergehenden Gebrauch findet das AGG erst Anwendung, wenn der Vermieter insgesamt mehr als 50 Wohnungen vermietet. Damit fällt der typische private Vermieter von Wohnraum in der Regel nicht in den Geltungsbereich des gesetzlichen Diskriminierungsverbots. Soweit das Gesetz für die Vermietung von Wohnraum Anwendung findet, kann eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse durchaus zulässig sein (§ 19 Abs. 3 AGG).