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Automatisierung Was kann der Kollege Roboter?

Erschienen am 04.07.2024

Riesige menschenleere Produktionshallen, in denen Roboter hoch effizient Autos zusammenbauen: Dieses Bild dürften viele im Kopf haben, wenn es um den Einsatz von Robotik geht. Sie bietet aber auch kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) viele neue Möglichkeiten, wie das Kooperationsforum „Robotik für KMU“ vor Kurzem verdeutlichte. Es fand im Rahmen des Verbundprojekts „transform_EMN“ statt, das die Transformation der Automobilindustrie hin zur Elektromobilität unterstützt. Die Veranstaltung wurde gemeinsam von der IHK Nürnberg für Mittelfranken und dem Netzwerk „Automation Valley Nordbayern“ im Robotik-Center Altdorf der Jugard + Künstner GmbH veranstaltet. Dort zeigten Firmen und Wissenschaftler, wie mittelständische Produktionsunternehmen Roboterlösungen einsetzen können.

 

Schon jetzt gehört Nordbayern in der Industrie 4.0, also der digitalen, vernetzten und „intelligenten“ Produktion, zu den führenden Regionen in Deutschland. Allerdings spielt die Betriebsgröße eine entscheidende Rolle, denn insbesondere mittelständische Unternehmen hinken bei der Entwicklung hinterher – oftmals, weil es ihnen neben dem Tagesgeschäft schwerfällt, das Potenzial für ihren eigenen Betrieb auszuloten.

 

Tomasz Humiennik, bei Jugard + Künstner zuständig für Robotik und Intralogistik, stellte seine Aufführungen unter das Motto „Kollege Roboter – einfache Automatisierungslösungen für KMU“. Als Leitlinie für den Einstieg empfahl er: „Lieber jetzt mit einer 80-prozentigen Lösung starten, als auf eine hundertprozentige Anwendung irgendwann später warten.“ Er beobachtet, dass sich der Mittelstand in größerem Maße mit der Thematik beschäftigt. Dabei denkt er beispielsweise an sogenannte Cobots, die mit Menschen zusammenarbeiten, oder an mobile Roboter, die den fahrerlosen Transport in einer Fertigungshalle übernehmen. Oder es werden flexible Roboterarme an der Produktionsstraße eingesetzt, die sich Teile holen und Maschinen bestücken. „So kann man während der Spätschicht ohne Mitarbeiter fertigen“, sagte Humiennik. Roboter können auch einzelne Teile aus einem Schüttgutbehälter entnehmen und sie wunschgemäß per Sauggreifer positionieren. Automatisiert können sie Teile in eine Spritzgussmaschine einlegen oder Paletten zu kompletten Verpackungseinheiten bestücken. Im Kommen ist laut Humiennik auch das Schweißen von Kleinserien. Dafür wird dem Roboter einmalig der Arbeitsablauf im sogenannten Teach-In-Verfahren „beigebracht“, sodass der Roboterarm – im Unterschied zur menschlichen Handarbeit – eine immer gleichbleibende Qualität abliefert. Selbst manche Zahnärzte setzen Roboterarme als Assistenzsysteme ein.

 

Einsatz in der innerbetrieblichen Logistik

 

Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten sieht Humiennik auch in der innerbetrieblichen Logistik (sogenannte Intralogistik): Im Einsatz sind etwa autonome Fahrzeuge, die über 1 600 Kilometer pro Jahr auf dem Betriebsgelände zurücklegen. Mit einer größeren Roboterlösung lasse sich der komplette Staplerverkehr zwischen Produktion und Lager ersetzen. Dabei sind für die digital gesteuerten Stapler nur Start- und Zielpunkte definiert, bei Hindernissen nutzen sie eine Ausweichroute. Bei anderen Lösungen bleiben fahrerlose Gabelstapler dagegen auf fest definierten Routen und stoppen bei einem Hindernis, bis sie wieder freie Fahrt haben. Selbst für Standardlösungen, die nicht speziell auf die betrieblichen Bedürfnisse angepasst werden, sieht Humiennik Einsatzmöglichkeiten im Mittelstand. Sie könnten dort ebenfalls dazu beitragen, die Produktivität zu erhöhen und die Arbeitssicherheit zu verbessern.

 

Dr.-Ing. Sebastian Reitelshöfer, Bereichsleiter Forschung am Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), gab einen Einblick in die anwendungsbezogene Forschung. Als Beispiel nannte er das Projekt „Next2OEM“: Dabei nimmt der Lehrstuhl die gesamte Wertschöpfungskette von Bordnetzen in der Automobilwirtschaft inklusive Zulieferer unter die Lupe, um dann die Prozesse zu digitalisieren und am Ende automatisiert möglichst in Deutschland zu fertigen. FAPS arbeitet dabei mit der offenen Betriebsplattform für Hard- und Software, POV.OS (Professional Operating Vehicle Operating System). Das Projekt wird im Verbund mit Forschungspartnern vorangetrieben und vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. „Allein geht die Entwicklung nicht mehr“, so Reitelshöfer sicher. Durch die neue standardisierte Plattform sollen künftig Algorithmen und Prozessoren in unterschiedlichen Maschinen verwendet werden können. Das wäre ein Vorteil gegenüber individuellen End-To-End-Lösungen und würde kleinen und mittleren Betrieben den Zugang zu Automatisierungslösungen erleichtern. Durch POV.OS könne man letztlich auch zertifizierte Lösungen anbieten.

 

Der lösungsorientierte Ansatz habe anders als der technologiegetriebene Weg zu interessanten Anwendungen geführt, so der FAPS-Bereichsleiter, der als Beispiel einen Assistenz- bzw. Aufhebe-Roboter nennt. Mit Hardware im Wert von 250 Euro ausgestattet kann die Maschine auf Zuruf Gegenstände vom Boden aufheben und beispielsweise älteren Menschen reichen. Außerdem wird daran gearbeitet, dass das System Personen erkennt. Dabei geht es nicht nur darum, Menschen als Hindernis zu erkennen, wenn sie dem Roboterarm oder dem autonomen Stapler im Weg stehen. Reitelshöfer möchte erreichen, dass der Roboter auch die Gesten von Personen richtig interpretiert. Die Forscher des FAPS wollen auch semantische Karte aufbauen, mit der Sprachinformationen umgesetzt werden. Dabei geht es nicht um einen simplen Sprachbefehl wie „Fahre!“ oder Stopp!“. Vielmehr soll sich der Roboter bei einem Befehl wie „Fahre zum Waschbecken!“ zielsicher in die Küche und dort zum Waschbecken bewegen.

 

In der Intralogistik stellt die Sensorik der mobilen Systeme eine besondere Herausforderung dar, wenn verschiedene Hallen miteinander verknüpft werden müssen. Fahren sie von der Halle nach außen, muss auch die Navigation vom Hallensystem auf ein Navigationssystem wechseln, das außen funktioniert. Getüftelt wird auch an fliegenden Robotern, die in Gebäuden unterwegs sind und Sachen hin und her transportieren. Dafür ist eine optimale Lokalisierungstechnik notwendig. Selbst im Baugewerbe kann sich Reitelshöfer angesichts des Fachkräftemangels sinnvolle Aufgaben für Flugroboter vorstellen.

 

Der FAPS-Forscher räumt allerdings ein: „Wir kommen aktuell nicht auf 100 Prozent Autonomie, der Roboter braucht immer noch Hilfe.“ Diese Hilfe lässt sich aber aus der Ferne durch eine sogenannte Teleoperation mit VR-Umgebung (Virtuell Reality) bewerkstelligen. Die Schnittstelle dafür kann mit einem Datenvolumen von einem Megabyte auskommen, sodass auch bei schwachen Datenverbindungen, wie etwa bei einem Firmen-WLAN, die Steuerung nicht abbricht. Solche Steuerungen per Teleoperation eigenen sich beispielsweise für gefährliche Arbeiten – etwa die Sortierung von atomaren Abfällen durch Roboter unter menschlicher Aufsicht.

 

Ein weiteres Forschungsfeld widmet sich sogenannten weichen Robotersystemen, die ähnlich wie menschliche Finger auch weiche Gegenstände wie Textilien robust greifen können. Ein Ziel ist, dass der maschinelle Kollege beispielsweise Wertstoffe aus Gelben Säcken sortiert. Laut Reitelshöfer ist es allerdings noch ein weiter Weg, bis ein Roboterarm beispielsweise hämmern kann.

 

Roboter in Teilelagern

 

Tom Preller, Vertriebsleiter der Nürnberger Klinkhammer Intralogistics GmbH, zeigte exemplarisch auf, wie Roboter Unternehmensabläufe und Materialflüsse in automatisierten Kleinteilelagern vereinfachen. Möglich ist ein durchgängiger, vollautomatisierter Prozess – vom Wareneingang über Einlagerung und Kommissionierung bis zur Verpackung und Palettierung. Preller nannte Beispiele, was Roboter in diesem Bereich schon alles können: Waren von Paletten nehmen, Kartons aufschneiden, Versandkartons aufstellen, Waren kommissionieren, Volumina von Kartons reduzieren, Waren auf Paletten schlichten und für den Versand vorbereiten. Ein solches „Dark Warehouse“ – also ein praktisch dunkles Lager in dem nur die Roboter hin- und hersausen – könne die Investitionen innerhalb von zwei Jahren im Zwei- oder Dreischichtbetrieb wieder einspielen. Zum Einsatz komme eine hauseigene Software, die u. a. das ERP-System mit Lager- und Materialflussrechner umfasst.

 

Dr.-Ing. Eike Schäffer, Geschäftsführer und Co-Gründer der Nürnberger Robotop GmbH, führte den Gästen des Forums live vor, wie einfach sich die Funktionsweise und die Fähigkeiten von Roboter-Maschinen und -Anlagen mit sogenannter Extended Reality (XR) und Künstlicher Intelligenz (KI) veranschaulichen lassen. Die Visualisierung lässt sich beispielsweise für den Vertrieb von Robotern nutzen, um sie Kunden im virtuellen Raum vorzuführen. Diese XR-Lösung kann man auch dazu nutzen, Produktionsanlagen in den dafür vorgesehenen Gebäuden zu planen und die Abläufe zu optimieren. Dann falle beispielsweise sofort auf, wenn die Anlage um eine Säule in der Produktionshalle herumgeplant werden muss. Schäffer, der vor der Firmengründung am FAPS-Lehrstuhl geforscht hatte, filmte bei der IHK-Veranstaltung mit seinem iPad einfach den Tagungsraum ab und positionierte dann flugs Maschinen als digitalen 3D-Zwilling per drag and drop in dem Raum. Das dreidimensionale Planungsinstrument von Robotop kann auch mit Grundrissen von Google Maps, Daten aus dem Building Information Modeling (BIM) oder mit dem Grundriss eines Feuerfluchtplans arbeiten.

 

Die Zusammenarbeit mit Hochschulen ist für kleine und mittlere Betriebe eine Möglichkeit, beim Thema Robotik voranzukommen. Prof. Dr. Christian Pfitzner, Professor für intelligente Mensch-Roboter-Kollaboration an der Technischen Hochschule Ingolstadt, wies darauf hin, dass es für gemeinsame Projekte von Unternehmen und Hochschulen zahlreiche Fördermittel gebe. Die Roboter, mit denen die Ingolstädter TH arbeitet, sind vielfältig im Einsatz: Sie schweißen die B-Säulen von Autos, besitzen besondere Greifer für Semmeln, unterstützen beim Kochen, werden bei Such- und Erkundungsaktionen eingesetzt oder entfernen Unkraut in der Landwirtschaft.

 

Michael Schnabel, Teamleiter Digitales Engineering Produktions- und Prüfsysteme bei der Erlanger Heitec AG, unterstrich ebenfalls die großen Möglichkeiten der fortschreitenden Digitalisierung für die Intralogistik und für die Simulation im Maschinen- und Anlagenbau. Der Entwicklungsprozess bis zur Markteinführung lasse sich deutlich verkürzen, weil Entwicklungsschritte parallel vollzogen und die Nutzer immer mit eingebunden werden können. Auch das automatisierte Testen im Vorfeld sorge für deutlich kürzere Abläufe. Digitale Services wie eine Heitec-Plattform für das Internet der Dinge (Internet of Things IoT) trage ebenfalls dazu bei, bei der Automatisierung voranzukommen. So hat Heitec mit einer eigenen Software den Materialfluss von 100 000 eingelagerten Aufträgen simuliert und analysiert – an einem einzigen Wochenende.

 

Roboter spielen auch in der automobilen Wertschöpfungskette eine wichtige Rolle. Dimitrij Schmiegel, Projektmanager des Verbundprojekts „transform-EMN“, präsentierte eine breite Palette an Dienstleistungen, von denen Unternehmen im Rahmen ihrer Transformation in der automobilen Wertschöpfungskette profitieren können. Hierzu zählen Angebote zur Vernetzung und zum Technologietransfer sowie individuelle Qualifizierungsmaßnahmen. Ein thematischer Schwerpunkt bei der Transformation zur E-Mobilität liegt auf der Fahrzeugelektrifizierung, aber auch auf Umstellungen in der Produktion, beispielsweise durch den Einsatz von Robotern.

Von Thomas Tjiang

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