E-Mail-Disclaimer: Sinnvoll oder wirkungslos?
Dieser Artikel ist im November 2017 in der „WiM – Wirtschaft in Mittelfranken“ erschienen.
In vielen geschäftlichen E-Mails wird am Ende darauf hingewiesen, dass der Empfänger die Mail vernichten und den Inhalt nicht zur Kenntnis nehmen soll, falls die E-Mail nicht für ihn bestimmt war. Häufig folgt noch der Hinweis, dass der Inhalt der E-Mail vertraulich ist und daher nicht veröffentlicht oder an Dritte weiter gegeben werden darf. Dies nennt man einen „Disclaimer“. Auch wenn ihn nahezu jeder verwendet, stellt sich die Frage, ob eine solche Bestimmung überhaupt rechtliche Wirkung hat.
Ursprung des Disclaimers
Der Begriff „Disclaimer“ bezeichnet einen Haftungsausschluss im Online-Recht. Disclaimer finden sich vorwiegend in E-Mails oder auf Webseiten. Der Begriff leitet sich vom englischen Verb „to disclaim“ ab; übersetzt bedeutet das „ablehnen“, „bestreiten“ oder „in Abrede stellen“.
Der E-Mail-Disclaimer hat seinen Ursprung im anglo-amerikanischen Rechtsraum. Die in vielen englischsprachigen Ländern vorherrschende Rechtsordnung fußt nicht maßgeblich auf Gesetzen, sondern vielmehr auf sogenannten Präzedenzfällen, also grundlegenden richterlichen Urteilen der Vergangenheit. Das Recht wird durch richterliche Auslegung weitergebildet. Da die gesetzlichen Regelungen also häufig lückenhaft sind, müssen die in diesem Rechtsraum ansässigen Unternehmen selbst Vereinbarungen mit Dritten treffen, wenn sie eine sichere Regelung treffen wollen. Daher sind in den USA schriftliche Haftungsbeschränkungen und aufklärende Hinweise an der Tagesordnung.
In der Regel lautet ein E-Mail-Disclaimer wie folgt: „Diese E-Mail enthält Informationen, die ausschließlich für die adressierte Person bzw. dessen Vertreter/in bestimmt sind. Dies gilt auch für alle Dokumente im Anhang. Die Informationen sind vertraulich und/oder von der Veröffentlichung ausgenommen. Das Kopieren und/oder die Weitergabe an nicht autorisierte Dritte sind verboten. Falls Sie nicht der richtige Empfänger oder dessen Vertreter/in dieser E-Mail sind, benachrichtigen Sie bitte den Versender und löschen Sie diese E-Mail aus Ihrem System.“
Durch den E-Mail-Disclaimer möchte der Verwender also sicherstellen, dass seine Nachricht nur von den richtigen Adressaten und nicht etwa von fremden Dritten zur Kenntnis genommen wird. Das erscheint auf den ersten Blick einleuchtend, gerade im Zeitalter des elektronischen Schriftverkehrs. Wie schnell ist eine E-Mail versehentlich an den falschen Adressaten versandt.
Sind Disclaimer rechtlich wirksam?
Aber kann man durch einen solchen Disclaimer überhaupt einseitig einen Dritten zu dem gewünschten Handeln verpflichten? Tatsächlich ist ein solcher Disclaimer rechtlich wirkungslos. Denn der Hinweis ist ja in aller Regel am Ende der E-Mail angefügt; der Empfänger wird also zuerst den Inhalt der Mail lesen und erst dann auf den Hinweis aufmerksam werden. Zudem wäre es für die Entfaltung einer Rechtswirkung erforderlich, dass zwischen Versender und Empfänger eine vertragliche Einigung über den Inhalt des Disclaimer erfolgt ist. Eine nur einseitige Aufforderung kann keine rechtliche Verpflichtung des Empfängers begründen, entsprechend zu handeln.
Nach überwiegender Ansicht handelt es sich bei E-Mail-Disclaimern um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Als solche müssten sie dem Empfänger bereits vor dem Öffnen der E-Mail zugänglich gemacht werden, um eine Wirkung zu entfalten. Dem Empfänger muss die Möglichkeit gegeben werden, vor der Lektüre der E-Mail von den Bestimmungen des Disclaimers Kenntnis zu erlangen, um ihnen zustimmen oder sie ablehnen zu können. Da der E-Mail-Disclaimer in der Regel am Ende der E-Mail angehängt wird, wird diese Voraussetzung gerade nicht erfüllt.
Eine derartige Aufforderung könnte auch nur dann eine rechtliche Bindungswirkung entfalten, wenn zwischen dem Versender und dem Empfänger bereits vorher ein Vertragsverhältnis besteht, das gegenseitige Schutz- und Rücksichtnahmepflichten begründet. Diese gegenseitigen Schutzpflichten bestehen allerdings auch ohne den ausdrücklichen Hinweis in Form eines E-Mail-Disclaimers. In der betrieblichen Praxis existiert in den meisten Fällen, in denen der E-Mail-Dis-claimer seine Wirkung entfalten soll, aber eben keine vertragliche Beziehung.
Auch der Hinweis, dass der Inhalt der E-Mail vertraulich ist, führt nicht zu Ansprüchen gegen den Empfänger, falls dieser den Inhalt veröffentlicht. Das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken wies in seinem Urteil vom 13. Juni 2012 (Aktenzeichen 5 U 5/12-2) ausdrücklich darauf hin, dass der Disclaimer am Ende einer E-Mail lediglich eine einseitige Erklärung darstelle. Er sei deshalb keinesfalls geeignet, den Empfänger rechtlich dazu zu verpflichten, dass er die Weitergabe der E-Mail unterlässt.
Einem E-Mail-Disclaimer kommt damit keine rechtliche, sondern allenfalls eine psychologische Wirkung zu. Im Geschäftsverkehr wird der Zusatz trotzdem häufig verwendet – entweder aus Unwissenheit über die rechtliche Wirkungslosigkeit oder weil jeder einen solchen Disclaimer beifügt. Negative Rechtsfolgen sind mit dem Disclaimer aber auch nicht verbunden, sodass seine Verwendung unschädlich ist.
Wer vermeiden will, dass E-Mails mit sensiblen Informationen an falsche Empfänger geraten und unter Umständen weitergeleitet werden, kann sich also durch einen E-Mail-Disclaimer nicht schützen. Er muss sich vielmehr auf die gesetzlichen Vorschriften, z. B. zum Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, oder auf vertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflichten berufen.
Auch bei E-Mails, die ins Ausland versandt werden oder die man von einem ausländischen Absender erhält, entfalten Disclaimer meist keine rechtliche Wirkung. Es kommt hier jeweils auf die Umstände des konkreten Einzelfalls an. Die genaue Formulierung, die Sprache, in welcher der Disclaimer gefasst wurde, der Inhalt der E-Mail sowie der Kontext, in welchem die E-Mail versendet wird, können relevant sein. Ein Dis-claimer am Anfang der E-Mail kann nach einigen Urteilen von US-Gerichten allerdings zu beachten sein, insbesondere wenn er nicht bei jeder E-Mail automatisch erfolgt, sondern jeweils individuell vorangestellt wird.
Autor/in: Dr. Renate Kropp ist Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz und Partnerin der Kanzlei Cöster & Partner Rechtsanwälte mbB in Nürnberg. Laura Hupfeld-Dörfler ist Rechtsanwältin und ebenfalls bei Cöster & Partner tätig (info(at)coester-partner.de).
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