Erfolg auf der digitalen Welle
Digitalisierung: Neue Services und Geschäftsmodelle: Die Digitalisierung eröffnet der Tourismuswirtschaft viele Möglichkeiten.
Digitalisierung ist im Tourismus kein neues Phänomen. Insbesondere die digitale Suche und Online-Buchung von Unterkünften ist ein Wachstumsmarkt. Aber dies ist bei weitem nicht die einzige Facette der neuen digitalen Welt im Tourismusgeschäft, die sich rasant weiterentwickelt. So könnten intelligentes Datenmanagement und der Einsatz Künstlicher Intelligenz ganz neue Anwendungen und Geschäftsmöglichkeiten in Freizeit und Tourismus eröffnen. Das Bayerische Zentrum für Tourismus (BZT) unterstützt die Forschung auf diesen Feldern und will den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und touristischer Praxis voranbringen (siehe Artikel Seite 66).
Jörg Hentschel, Pressesprecher des Tourismusverband Franken e. V., ist sicher: "Die Digitalisierung ist eines der wichtigsten Branchenthemen." Online-Videos, Instagram-Stories und Websites seien längst zu den klassischen Formen der Öffentlichkeitsarbeit wie beispielsweise den gedruckten Broschüren oder den Urlaubs- und Reisemessen hinzugekommen. Auch die Gäste und Touristen über 65 Jahre seien seit Langem im digitalen Zeitalter angekommen.
So pusht der Tourismusverband im laufenden Jahr sein aktuelles Motto "Nachhaltiger Urlaub in Franken" auch stark über virtuelle Kanäle. Mit Videoclips bespielt er in der digitalen Welt naturnahe Übernachtungsmöglichkeiten, regionalen Genuss und Themen wie "Waldgesundheit in fränkischen Kurwäldern". So sind alle 16 fränkischen Tourismusgebiete auch online präsent, weitere Themen-Clips greifen unter anderem die nachhaltige Mobilität auf (www.frankentourismus.de).
VGN-Freizeittipps für das Handy
Zu den frühen Anbietern touristischer Angebote mit digitalen Elementen gehört der Nürnberger Verkehrsverbund Großraum Nürnberg GmbH (VGN). Seit 2010 werden Freizeittipps im Verbundgebiet nicht nur als Printflyer oder PDF-Dokument angeboten, sondern auch als GPS-Daten (www.vgn.de/freizeit/). Auf diese Weise kann man sich mit dem Handy per GPS-Satellitensignale (Global Positioning System) auf Wanderungen, Radtouren oder Städtetrips führen lassen. Das ist nicht zuletzt dann von Vorteil, wenn man in ländlichen Regionen mit schlechtem Mobilfunknetz unterwegs ist.
Mittlerweile bietet der VGN für digitale Nutzer rund 430 Angebote: Sie enthalten jeweils eine Kurzbeschreibung mit Streckenlänge, Zeit, Höhenprofil sowie Verkehrsanbindung mit Bus oder Bahn zum Start oder Ziel. Neben einer Karte mit Routenführung und den GPS-Tracks für den richtigen Weg finden sich zusätzliche Hinweise auf Sehenswürdigkeiten, Geschichtliches und Freizeiteinrichtungen. Aber auch Einkehrtipps oder Hinweise auf Tourist-Infos vor Ort gehören zum Angebot.
Laut VGN-Freizeitexperte Ulrich Büscher gibt es pro Jahr bis zu 500 000 Seitenaufrufe, die überwiegend aus dem Verbundgebiet kommen. Zum Saisonstart im April oder Mai sowie zu den Sommerferien registriert er jeweils Spitzenwerte. Zwei Drittel der Nutzer holen sich auf diese Weise Inspirationen für Wanderungen, gefolgt von Rad- und Städtetouren. Die Touren führen beispielsweise zu den klassischen Zielen Fränkische Schweiz, Fränkisches Seenland, Fichtelgebirge und Fränkisches Weinland. Pro Jahr kommen rund fünf neue Tipps hinzu, zuletzt etwa der Obermain-Jura oder die Haßberge. Es finden sich aber auch dezidierte Genusstouren, Ausflüge in Weinbaugebiete und zu Brauereien sowie Geheimtipps in unbekannte Gebiete.
"Unsere VGN-Tipps haben sich schon beinahe zu einer eigenen Marke entwickelt", sagt Büscher. Zwar sei man aus Datenschutzgründen bei der Auswertung der Kundendaten zurückhaltend, man wisse aber, dass etwa 40 Prozent der User wieder zurück auf die Homepage kommen und sich weitere Tipps herunterladen. Die gedruckten Flyer haben damit aber längst nicht ausgedient: Häufig werden sie in den Haushalten zur Erinnerung zurückgelegt, um dann die genaue Planung des Ausflugs online vorzunehmen. Es ist aber nicht mehr so, dass man die Print-Informationen vorhalten muss, um alle älteren Personen zu erreichen. Laut Büscher wird insbesondere die deutsche Outdoor-App Komoot, bei der auch der VGN seit vier Jahren seine Routen hinterlegt hat, von Jung und Alt genutzt: "Diese deutschlandweit führende Plattform hat bei der Routenplanung bereits Google überholt." Der Verkehrsverbund ist auch in den Sozialen Medien mit dem Instagram-Kanal "VGN_Freizeit" präsent. Die rund 3 700 Follower der eigenen Community posten dort, wo sie waren und was sie erlebt haben.
Die Ausflugstipps treffen nicht nur auf den Trend der nachhaltigen Mobilität: Sie bringen auch Wanderer oder Radler zu Ausflugszielen, die nicht an den großen touristischen Routen liegen. Der "5-Seidla-Steig" etwa, der zu fünf Biergärten führt, stößt an manchen Tagen schon an Kapazitätsgrenzen. Am Beispiel der Naturparks verdeutlicht Büscher, wie der Verkehrsdienstleister seine Tipps mit regionalen Angeboten von Verbänden oder Städten verzahnt. Führungen und Touren seien zeitlich an den Fahrplan angepasst, sodass die Gäste ihre Ausflüge optimal planen können. Zudem verweisen auch Wirtshäuser und Gaststätten auf die Freizeittipps des VGN oder binden die Fahrplanauskunft von Bus und Bahn auf der eigenen Homepage ein.
Das touristische Potenzial schöpfen zunehmend auch die Städte in unterschiedlichen Formen aus. Nürnberg etwa bietet mit der App-Reihe "Nürnberger Quartiere", mit der man Sehenswürdigkeiten wie das Burgviertel, den Augustinerhof mit dem Zukunftsmuseum oder den Jakobsmarkt erkunden kann. Die App führt Besucher zu nicht so bekannten Geschäften oder Gaststätten und liefert auch kuriose Fakten zum jeweiligen Stadtteil (https://tourismus.nuernberg.de/erleben/nuernberger-quartiere/).
Die Goldschlägerstadt Schwabach startete 2020 mit dem Kanal "Schwabach_erleben" auf Facebook und Instagram. Auf beiden Kanälen rücken seitdem monatlich jeweils ca. 20 Posts und zahlreiche Storys die lokale Vielfalt an Gastronomie und Einzelhandel in den digitalen Fokus. Mit den fast 5 000 Followern ist Wirtschaftsförderer und Innenstadt-Kümmerer Stefan Schwenk zufrieden. Aus Gesprächen weiß er, dass sich nach einem Post die Wahrnehmung von Hotelbetrieben erhöht. Außerdem ließen sich über den digitalen Weg die lokalen Kulturveranstaltungen besser über die Stadt hinaus vermarkten. Die Posts führen nicht nur zu den Events, sondern auch zum digitalen Kartenvorverkauf (https://schwabach.de/de/schwabach-erleben).
Sehenswürdigkeiten digital erleben
Digitales Neuland hat das Nürnberger Start-up Blickwinkel Tour GbR betreten (https://blickwinkeltour.de). Gründer und Geschäftsführer Art Petto hat mit seinem Kollegen René Kasperek eine Virtual-Reality-Anwendung (VR) für Besucher des ehemaligen Reichparteitagsgeländes realisiert. Statt bei einer Bustour Bilderordner mit historischen Aufnahmen herumzureichen, wie es Petto noch aus seiner Schulzeit kennt, können Touristen mit VR-Brille historische 3D- und 360 Grad-Darstellungen des jeweiligen Standorts erleben. Für Petto war es dabei wichtig, in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern historisch korrekte und qualitativ hochwertige Visualisierungen zu schaffen. Zusätzlich berücksichtigt die VR-Software pädagogische und didaktische Ansprüche.
Mittlerweile werden bereits drei Bustouren pro Monat entlang von Kongresshalle, Zeppelintribüne und Großer Straße durchgeführt. Als Zielgruppen hat Petto auch Schulklassen und Studenten im Blick. Außerdem will er diese besondere Art der Stadtführung für Urlauber auf Flusskreuzfahrtschiffen anbieten, die in Nürnberg anlegen. Inhaltlich arbeitet Blickwinkel Tour an einem neuen Thema: Der historisch vielschichtige Nürnberger Hauptmarkt soll umfassend für eine zeitgemäße VR-Visualisierung aufbereitet werden. "Es geht dabei nicht um Entertainment, sondern Edutainment", betont Petto. Die eigens programmierten, wissenschaftlich fundierten Modelle seien in dieser Qualität bislang nicht in der bestehenden VR-Landschaft zu finden.
IT ermöglicht neue Geschäftsmodelle
Marketing und Stadtführungen sind aber bei weitem nicht die einzigen Felder, auf denen die Digitalisierung ungeahnte Möglichkeiten in der Tourismuswirtschaft eröffnet. Denkbar sind völlig neue touristische Services und Geschäftsmodelle. Einige Beispiele: Mit KI-gestützten Auswertungen von Google-Suchanfragen lässt sich ziemlich genau vorhersagen, mit welchen Ankünften an welchen touristischen Zielen zu rechnen ist. Andere KI-Lösungen ermöglichen beispielsweise ein Dynamic Pricing: Das bedeutet, dass der Preis für touristische Leistungen je nach prognostizierter Nachfrage gebildet wird. Die Auswertung von Social-Media-Daten kann dazu verwendet werden, um Kundenwünsche besser zu erkennen. In internationalen Hotelketten sind schon ab und zu Roboter im Einsatz, die bei der Kundenansprache helfen. Der digitale Kollege kann sogar das Gepäck im Hotel befördern oder einer Servicekraft beim Servieren unter die Arme greifen – in Nürnberg beispielsweise im griechischen Restaurant Sirtaki in Langwasser. Klar ist, dass solche neuen Möglichkeiten für viele kleinstrukturierte Tourismusbetriebe Zukunftsmusik sind. Zu klären wäre auch, welche dieser Innovationen für inhabergeführte Hotels, Pensionen oder private Anbieter von Ferienwohnungen überhaupt sinnvoll sind. Zudem dürften sie in den meisten Fällen nicht über das Know-how und die Finanzkraft verfügen, um solche IT-Projekte anzugehen.
IT-Weiterbildung für Tourismusbetriebe
Für sie geht es zunächst darum, die einfacheren digitalen Hausaufgaben zu erledigen – beispielsweise eine funktionelle Homepage und die Präsenz in Buchungssystemen. Hier sieht Tourismus-Manager Jörg Hentschel Fortschritte – nicht zuletzt vorangetrieben durch die Corona-Pandemie: Mindestens die Hälfte der Tourismusbetriebe sei digital ordentlich aufgestellt, schätzt er. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Die andere Hälfte hat noch mehr oder weniger großen Nachholbedarf. Der Tourismusverband Franken e. V. forciert deshalb seit mehreren Jahren das Lehrgangs- und Beratungsangebot für Klein- und Kleinstbetriebe rund um das Thema Digitalisierung.
Auch die IHK-Akademie Mittelfranken sieht Bedarf, um Mitarbeiter der Tourismuswirtschaft mit den neuen digitalen Möglichkeiten vertraut zu machen: Der neue Zertifikatslehrgang "E-Tourism-Manager/-in (IHK)" wendet sich an Projektleiter, Marketing-Manager und andere Fachkräfte der mittleren Führungsebene (siehe Meldung Seite 59). Nach Worten von IHK-Bildungsmanager Ludwig Hofbeck ist die Digitalisierung eine große Herausforderung für die Branche, aber auch eine Notwendigkeit. Der IHK-Lehrgang solle dabei unterstützen, die sich daraus ergebenden Marktchancen zu nutzen.
In der betrieblichen Praxis finden sich viele mittelfränkische Touristik- und Freizeitunternehmen, die auch im virtuellen Raum Flagge zeigen. Dazu zählt beispielsweise die Franken-Therme Bad Windsheim GmbH, die etwa in Corona-Zeiten Online-Tickets mit vordefinierten Zeitslots anbot. Nach jeweils zweieinhalb Stunden mussten die Bereiche komplett geräumt und für die nächste Gästerunde gereinigt werden. Das sei aus wirtschaftlicher Sicht wegen der gedeckelten Gästezahl schwierig gewesen, berichtet Marketing-Leiterin Sylvia Knoll-Peterson. Man wollte jedoch Mitarbeiter aus der Kurzarbeit holen und in der Öffentlichkeit ein positives Zeichen setzen.
Grundsätzlich spielen digitale Angebote für die Franken-Therme in Bezug auf Kundenservice, Akquise von Neukunden und Kundenbindung eine wichtige Rolle. Es werde immer wichtiger, Kunden bzw. potenzielle Kunden dort abzuholen, wo sie sich bewegen – nämlich in Online-Kanälen. Daher wird in diesem Jahr u. a. ein Online-Buchungssystem für Wellness-Termine und Eintrittskarten eingeführt. Zudem wird das Marketing in Online-Kanälen verstärkt (https://franken-therme.net).
Auch für die im Jahr 2020 gestartete Eventlocation Firstclass Event & Hotel in Fürth spielt die Online-Vermarktung eine große Rolle (www.event-firstclass.de). Der Neubau am Fürther Hafen bietet Platz für Konzerte mit bis zu 1 500 Besuchern oder für über 800 Tagungsgäste. Auch dank der starken digitalen Präsenz ist in diesem Jahr praktisch alles ausgebucht, sagt Betreiber und Immobilienkaufmann Hüseyin Cakir. Selbst im nächsten Jahr würden die Termine schon knapp. Das kleine Hotel im Obergeschoss mit 15 Doppelzimmern komme durch Touristen und Besucher der Nürnberger Messe auf eine Auslastung von rund 60 Prozent. Hotelgäste aus China oder Indonesien stoßen über die großen Buchungsplattformen auf das neue Angebot. Cakirs Ziel ist es allerdings, die Gäste vermehrt auf die eigene Homepage zu lenken und dort das eigene Buchungstool zu nutzen. So will er die Provisionen, die die Buchungsportale fordern, für sich behalten.
Auch das Erlanger Hotel Luise GmbH will Gäste lieber über eine Buchungsanfrage auf der eigenen Homepage ins Haus holen (www.hotel-luise.de). Bei diesem Prozess müsse zwar keine Kreditkarte hinterlegt werden, die Reservierung ist aber genauso verbindlich, hebt Hotelier Benjamin Förtsch hervor. Der eigene Internet-Auftritt ist für das Creativhotel Luise, das sich als Deutschlands erstes klimapositives Hotel positioniert, ein wichtiger Baustein. Für seine Umweltstrategie hat Förtsch den Begriff "nachwachsendes Hotelzimmer" geschaffen: Er verzichtet er auf Einwegverpackungen und andere Wegwerfartikel, rückt die Bauweise des Hauses in den Fokus und achtet beim Kauf von Möbeln auf Herkunft und Zusammensetzung. Übernachtungsgäste können sich vorab über die Zimmerausstattung im Netz informieren. So stoßen sie beispielsweise auf Schreibtische mit Kork-Linoleum, Vollholzmöbel, atmungsaktive mineralische Wandfarben, Grünpflanzen, Wärmeschutzfenster oder auch umweltfreundliche Reinigungsmittel. Über die Homepage kommen digitale Besucher auch zum Online-Shop, der in Corona-Zeiten mit dem Erlanger Care-Paket gestartet ist. Mittlerweile finden sich dort unter anderem auch Hotel-Honig und andere Lebensmittel, Gutscheine für Frühstück und für Aquapunktur im Aromabad oder für eine eigens entwickelte Biermassage.
Die Hotel-Website ist mit einem weiteren Internet-Auftritt, der "Wall of Change" (www.luise.eco) verknüpft. Dort stellt der Öko-Hotelier für Tagungs- und Hotelgäste über 230 Nachhaltigkeitsprojekte vor, die er bereits umgesetzt hat. "Diese Positionierung hilft dabei, Tagungen aus dem ganzen Bundesgebiet nach Erlangen zu holen", berichtet Förtsch. Für dieses Kommunikationskonzept erhielt das Hotel den diesjährigen Sonderpreis für Nachhaltigkeit des "ADAC-Tourismuspreises Bayern".
Das Hotel Centro in Schwabach (https://hotelcentroschwabach.de) kommt schon seit der Eröffnung vor knapp 20 Jahren ohne Buchungsportale aus. "Wir lehnen die damit verbundenen Buchungskosten, aber auch die kurzfristigen Stornierungszeiten ab", begründet Hotel-Chef Johannes Porlein. Stattdessen gilt eine 48-Stunden-Stornoregel, die allerdings kulant gehandhabt werde. Die Gästebuchungen laufen zu mehr als zwei Dritteln über die eigene Homepage. Außerdem ist das Hotel in mehreren Social-Media-Kanälen präsent. "Da kommt heute keiner mehr drum herum, gerade wenn man junge Leute ansprechen will", sagt Porlein.
Um das Personal zu entlasten und spät anreisenden Gästen entgegenzukommen, wurde ein digitaler Spät-Check-In eingeführt. Dafür wird eine Pin-Nummer an das Smartphone der Kunden gesendet, mit der sie die Schlüsselbox öffnen und digital einchecken. Die ergänzende Bezahlfunktion mit Kreditkarte wird demnächst nachgerüstet. "Das ist für alle eine große Erleichterung", so Porlein, für den die Digitalisierung ein wichtiger Baustein ist, um das eigene Geschäftskonzept zu unterstützen. Aber angesichts des digitalen Hypes erinnert er auch augenzwinkernd an einen ehernen Fakt: "Die Gäste können auch in Zukunft nicht digital übernachten."
Autor/in: Von Thomas Tjiang; Illustration: Anton Atzenhofer
Webcode: N307