Was ist möglich mit Wasserstoff?
IHK-Anwender-Club: Neuer IHK-Anwender-Club „Wasserstoff | H2“ bringt Wirtschaft und Wissenschaft zusammen.
IHK-Anwender-Club „Wasserstoff | H2“
Der neue IHK-Anwender-Club will den Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft, Anlagenbetreiber und Unternehmen voranbringen – nach dem Motto „Wasserstofftechnik zum Anfassen und Anwenden“. Veranstalter sind die IHKs der Metropolregion (Bayreuth, Coburg, Nürnberg, Regensburg und Würzburg). In diesem Jahr sind noch diese Treffen geplant:
Dienstag, 11. Juli an der TH Würzburg-Schweinfurt (im „H2-Labor“ in Schweinfurt)
Montag, 9. Oktober am HySon-Institut für Angewandte H2-Forschung in Sonneberg
Im vierten Quartal sind Treffen am Energiepark in Wunsiedel sowie an der LOHC-Tankstelle in Erlangen geplant (Termine stehen noch nicht fest).
Wasserstoff wird als Energieträger der Zukunft gehandelt, wenn es um die Klimaneutralität von Industrieproduktion und Mobilität geht. Auch in Nordbayern arbeiten Wissenschaft und Wirtschaft intensiv an dieser Zukunftstechnologie. Mit dem neuen Anwender-Club "Wasserstoff | H2" (AWC) wollen die IHKs in der Metropolregion Nürnberg produzierende Unternehmen, Anlagenbetreiber und Wissenschaft zusammenführen und den Erfahrungsaustausch fördern. Es gehe darum, die wirtschaftlichen und ökologischen Chancen von Wasserstoff auch in Nordbayern zu nutzen, sagte Dr.-Ing. Robert Schmidt, Leiter des IHK-Geschäftsbereich Innovation/Umwelt, bei der Auftaktveranstaltung, die im Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen stattfand.
Wasserstoff muss grün werden
Eine wesentliche Herausforderung beim Einsatz von Wasserstoff sei es, diesen "grün" zu machen, erklärte Schmidt. Er müsse also mit erneuerbaren Energien erzeugt werden, um die "Defossilisierung" der Wirtschaft voranzubringen. Derzeit werde der Markt noch von sogenanntem "grauen" Wasserstoff dominiert, der aus Erdgas erzeugt wird. Die nächsten Treffen des neuen IHK-Anwender-Clubs stünden unter dem Motto "Wasserstofftechnik zum Anfassen und zum Anwenden", um neue Lösungen aufzuzeigen. So würden in der Metropolregion treibhausgasneutrale Alternativen für Hochtemperaturprozesse in produzierenden Unternehmen dringend gesucht, also etwa in der Glas-, Keramik-, Baustoff-Industrie oder bei Oberflächenbehandlung, Härtereien, Galvaniken, Gießereien oder Feuerverzinkereien. Nicht überall sei ein Umstieg auf die Elektrifizierung aus Prozess- und Kostengründen machbar.
Das Fraunhofer-Institut IISB setzt bei der Wasserstoffforschung einen Schwerpunkt auf Anwendungen im Verkehr, beispielsweise für Pkw, Lkw, Busse sowie für Baustellen- und Transportfahrzeuge. Aber auch der Bahnbereich sowie mit Wasserstoff betriebene Flugzeuge sind im Fokus. Laut Dr.-Ing. Richard Öchsner, Leiter Energietechnik am IISB, eröffnen Wasserstofftechnologien auch im stationären Bereich große Möglichkeiten: Sie könnten beispielsweise in der Industrie für mehr Netzstabilität und für die Kappung von Stromlastspitzen sowie als Backup-Systeme für die unterbrechungsfreie Stromversorgung genutzt werden. In Windparks und großen Photovoltaik-Anlagen könnte Wasserstoff wichtige Beiträge bei der Energiespeicherung oder bei Pufferanwendungen leisten.
Die Forschungsaktivitäten des IISB spiegeln sich auch in dessen Gebäude wider: "Wasserstoff ist hier überall", so Öchsner. Er kommt als Produktionsgas zum Einsatz und hilft, überschüssige Energie zu speichern. Auch Blockheizkraftwerk (bereits heute "H2-ready") und Brennstoffzelle funktionieren mit Wasserstoff. Selbst für die Verwertung von wasserstoffhaltigem Abgas gibt es eine Lösung. Daher dient das Areal auch als Forschungs- und Demonstrationsplattform für innovative Energiesysteme. Es hat wie ein Industriebetrieb eine entsprechende Infrastruktur mit Wechselstrom und als Besonderheit auch mit Gleichstrom (AC und DC) sowie mit Heiz- und Kühlkreisläufen. Hinzu kommen Blockheizkraftwerk, Wärmepumpe und Kältemaschinen.
Speicher als wichtige Komponenten
Im Institutsbetrieb sind alle Sektoren effizient miteinander gekoppelt. "Eine intelligente Steuerung sorgt für den optimalen Betrieb des Gesamtsystems", so Öchsner. Das IISB setzt nicht auf ein autarkes Energiesystem, sondern will den Eigenverbrauch sowie die Energieeffizienz auch mit erneuerbaren Energien optimieren. Ist in diesem System mehr lokal erzeugte elektrische Energie verfügbar, als verbraucht werden kann, kann diese in einem Batteriesystem oder nach der Umwandlung mittels eines Elektrolyseurs in Form von Wasserstoff gespeichert oder in das öffentliche Netz abgegeben werden. Umgekehrt wird der Speicher angezapft, wenn der Bedarf die eigene Erzeugung übersteigt.
Das IISB arbeitet mit einem mehrstufigen Kreislaufmodell, um die Energiesysteme datenbasiert zu optimieren und ein intelligentes Energiemanagement einzurichten: Es beginnt mit der Erfassung und Auswertung der Energiedaten, um etwa den Verbrauch im Jahresverlauf zu visualisieren und Spitzenverbräuche zu erkennen. Öchsner empfahl den Gästen der AWC-Auftaktveranstaltung dafür ein kostenloses und vom IISB entwickeltes Analyse-Tool, in das man die Daten via Excel einfließen lassen kann (www.proenergie-bayern.de/de/veroeffentlichungen). Danach folgen die Schritte Datenanalyse, Entwicklung von Algorithmen zur besseren Steuerung sowie Simulation (z. B. um Anlagen optimal zu dimensionieren). Dann steht die Umsetzung der Betriebsstrategien sowie die Optimierung von Anlagen an. Damit ist die erste Runde des Modells absolviert und der Prozess beginnt von vorne mit einer erneuten Analyse der Energiedaten.
Mit dem Kreislaufmodell beginnt allerdings erst die eigentliche Arbeit. Denn es geht immer darum, ein sicheres und optimiertes Gesamtsystem zu schaffen, in das Einzellösungen optimal integriert sind. So müssen auf dem Gelände des IISB u. a. die zahlreichen Energiespeichersysteme (unterschiedliche elektrische Speicher sowie Wärme- oder Kältespeicher, LOHC-Wasserstoffspeicher) gekoppelt und aufeinander abgestimmt werden. Dieses Know-how und diese Erfahrungen sind auch für die Wirtschaft wertvoll: "Wir integrieren Wasserstoffsysteme vom Konzept bis zum Prototyp und betreuen sie bis zur Zulassung", so Öchsner.
Wasserstoff statt Erdgas
Erdgas zuverlässig und klimaneutral durch Wasserstoff ersetzen: Daran arbeitet die Azure Energy GmbH aus Rednitzhembach, eine Ausgründung der Technischen Hochschule Nürnberg. Laut Geschäftsführer Fernando Reichert will man vor allem Kunden aus der Industrie ansprechen, die eine Wärmeleistung von ein bis zehn Megawatt haben und ihren Kohlendioxid-Ausstoß verringern wollen. "Bislang spielen erneuerbare Energien im Hochtemperaturbereich kaum eine Rolle, die Zukunft gehört dem Wasserstoff", sagte Reichert.
Azure Energy hat ein Problem herkömmlicher Wasserstoff-Verbrennungssysteme technisch gelöst: Um einen Flammenrückschlag bei der Wasserstoffverbrennung zu verhindern, wird ein patentierter Gebläsebrenner eingesetzt. Damit wird nicht nur die Betriebssicherheit erhöht, sondern auch die Stickstoffoxid-Emissionen (NOx) sinken deutlich. Derzeit wird ein Gebläsebrenner mit einer Leistung von 100 Kilowatt entwickelt, danach soll die Leistung in den Megawatt-Bereich gehen.
Für Industrie, energieintensive Gewerbebetriebe oder Stadtquartiere bietet Azure Energy ein Betreibermodell, um bei ihnen vor Ort eine Wasserstoffproduktion zu installieren. Der Strom kann z. B. direkt von Betreibern erneuerbarer Energieanlagen über Stromkaufvereinbarungen (PPA) oder am Spotmarkt bezogen werden. Bei PPA hat man als Vorteil eine sichere und langfristige Stromversorgung, die auch zu 100 Prozent grün ist und deren Preis berechenbar und fix ist. Beim Bezug über den Spotmarkt kann man von den niedrigen Stromkosten bei einem Überschuss von Wind- und Sonnenenergie profitieren. Laut Reichert erhalten Kunden bei diesem dezentralen Modell gleich drei Kostenvorteile: "Der H2-Transport entfällt, die Anlagengröße lässt sich optimal auslegen und die Stromversorgung ist flexibel." Ein Beispiel: Eine Anlage mit zwei Megawatt für eine Bäckerei würde laut einer Potenzialstudie eine Fläche von 100 bis 200 Quadratmetern benötigen. Auf diese Weise ließen sich bis zu 90 Prozent des bisherigen Erdgasverbrauchs einsparen. Reicherts Fazit: "Hochtemperatur-Prozesse werden zukünftig hauptsächlich mit H2 betrieben."
Autor/in: (tt.)
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Dr.-Ing. Robert Schmidt
Leiter des Geschäftsbereichs Innovation | Umwelt; Grundsatzfragen Innovations-, Industrie-, Technologie-, Digital-, Energie- und Umweltpolitik
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