Heimat für die Mitarbeiter
Betriebe, die Wohnungen zur Verfügung stellen, punkten bei Mitarbeitern. Welche Modelle sind möglich?
Werkswohnungen haben in Mittelfranken seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert eine lange Tradition. Die prekären Wohnverhältnisse ihrer Beschäftigten trieben die Unternehmer damals um. So ist beispielsweise vom Bleistifthersteller Lothar von Faber (1817 – 1896), der den Familienbetrieb zu einem internationalen Großunternehmen ausbaute, diese Aussage überliefert: „Da die Wohnungen der Arbeiter früher ärmlich, unsauber und daher auch ungesund waren, so ließ ich bald nach Übernahme der Fabrik neue Arbeiter-Wohnungen herstellen.“
Am Firmensitz der Faber-Castell AG in Stein bei Nürnberg entstanden bereits im Jahr 1858 14 Wohnungen mit damals vergleichsweise großen 36 Quadratmetern. Kurz danach folgte am Ortseingang ein großes Arbeiterwohnhaus. Schritt für Schritt stieg die Zahl über die Jahre auf über 200 Arbeiter- und Familienwohnungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg linderte Faber-Castell mit der Roland-Siedlung die akute Wohnungsnot im zerstörten Großraum. Die Wohnungen werden teilweise bis heute von Faber-Castell-Mitarbeitern bewohnt, andere wurden in Sozialwohnungen umgewandelt.
Nach dem Prinzip der Selbsthilfe legten Mitarbeiter der Schuckert-Werkstatt für elektrotechnische Produkte 1896 den Grundstein für den „Bauverein Schuckert`scher Arbeiter“. Aus ihr ging die heutige Wohnungsgenossenschaft Sigmund Schuckert eG hervor, die heute mit über 3 000 Wohnungen als größte und älteste Wohnungsgenossenschaft in Nürnberg gilt.
Bezahlbares Wohnen als Standortfaktor
„Werkswohnungen prägten Anfang des 20. Jahrhunderts unser Stadtbild“, so Martina Stengel, Immobilienexpertin der IHK Nürnberg für Mittelfranken. Heutzutage bekomme das Thema allerdings einen ganz neuen Stellenwert als Standortfaktor für Unternehmen, denn freier Wohnraum sei knapp. „Der Fachkräftemangel ist und bleibt ein Geschäftsrisiko, zumal der Zuzug neuer Mitarbeiter immer auch vom verfügbaren und bezahlbaren Wohnraum abhängt.“ Der klassische Werkswohnungsbau durch einen Firmeninhaber sei allerdings heute eher die Ausnahme. Dafür hätten sich andere Formen am Markt etabliert, um Mitarbeiter beim Nadelöhr Wohnen zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund organisierte Stengel vor Kurzem das IHK-Webinar „Mitarbeiterwohnen – Bezahlbares Wohnen wird zum Standortfaktor“.
Webinar-Referentin Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, pflichtete Stengel bei: Aktuell klagten alle Unternehmen – vom kleinen Betrieb bis zum Konzern – über den Mangel an Fachkräften. „An allen Standorten muss bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung stehen.“ Allerdings seien die Zahlen der Baugenehmigungen und Fertigstellungen seit 2020 rasant rückläufig. Gleichzeitig hätten sich im Bundesdurchschnitt die Mieten neuer Wohnungen durch Baukosten- und Zinssteigerungen innerhalb von zwei Jahren um rund 65 Prozent erhöht: „Wir reden von einer Quadratmetermiete von 18 Euro kalt. Das ist einfach zu viel.“
Esser verweist auf das „Netzwerk Mitarbeiterwohnen“, das von der Deutschen Bahn, der TU Berlin und der Berliner Beratungsgesellschaft RegioKontext gegründet wurde. Das Netzwerk tauscht sich beispielsweise über Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten sowie die praktische Umsetzung von Mitarbeiterwohnungen aus. Immerhin nimmt die Zahl von Wohnprojekten für Mitarbeiter zu, stellte die in diesem Jahr fortgeschriebene Studie „Mitarbeiterwohnen“ von RegioKontext fest, die auf wohnungspolitische Themen spezialisiert ist. Sie listet eine Vielzahl von Beispielen auf, wie Unternehmen, öffentliche Einrichtungen (z. B. Krankenhäuser und Pflegebetriebe) oder Behörden Wohnraum für ihre Beschäftigten schaffen.
Drei Modelle
Mittlerweile sieht Esser drei verschiedene Modelle am Markt, um die Wohnungsnot für Mitarbeiter zu lindern:
- Ein Arbeitgeber schafft als Eigentümer neuen Wohnraum als klassische Werkswohnungen und vermietet sie verbilligt an Arbeitnehmer. Allerdings halten sich viele Unternehmen hier zurück, weil sie neben ihrem Tagesgeschäft nicht die nötige Kompetenz für Bewirtschaftung, Betrieb und Instandhaltung von Wohnimmobilien haben.
- Ein Arbeitgeber mietet Wohnungen an und vermietet sie selbst verbilligt an Arbeitnehmer weiter.
- Ein Unternehmen erwirbt Belegungsrechte von einem Wohnungsanbieter. Das Wohnungsunternehmen vermietet die Wohnungen dann verbilligt an die Beschäftigten.
Steuerliche Gesichtspunkte
Die mietrechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen sind allerdings oft recht komplex: So können Mitarbeiterwohnungen entweder befristet oder unbefristet vermietet werden. Bei unbefristeten Mietverträgen sieht das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eine Werkmietwohnung oder eine Werkdienstwohnung vor. Bei befristeten Mietverträgen unterscheidet das BGB Wohnungen zum vorübergehenden Gebrauch und Zeitmietverträge.
Aus steuerlicher Sicht sei immerhin seit 2020 eine verbilligte Vermietung durch Arbeitgeber möglich, führte die GdW-Chefin aus. Diese lohnsteuerliche Begünstigung, wie es im Fachjargon heißt, gilt unter anderem nur dann, wenn auch die verbilligte Vermietung vom Arbeitgeber veranlasst wird und durch ein verbundenes Unternehmen stattfindet. Der Mitarbeiter mit einem Arbeitsvertrag bei einem Konzern oder einer Kommune muss also den Mietvertrag z. B. mit einer Immobilientochter innerhalb des Konzerns schließen. Kooperiert ein Unternehmen oder eine öffentliche Einrichtung mit einem externen Wohnungsanbieter, um seinen Beschäftigten Mietvorteile zu gewähren, ist die Unterstützung nicht lohnsteuerlich begünstigt.
Wenn der Arbeitgeber Belegungsrechte bei einem externen Wohnungsanbieter erwirbt, gibt es laut RegioKontext unterschiedliche Auffassungen, was die umsatzsteuerliche Behandlung angeht. Dabei geht es um die feinsinnige Unterscheidung, ob die bevorzugte Vergabe von Wohnungen als Leistung an den Mieter oder an den zahlenden Arbeitgeber anzusehen ist. Diese Unterscheidung führt umsatzsteuerlich zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. In der Praxis nimmt die Finanzverwaltung laut der Studie bislang allerdings undifferenziert an, dass der Erwerb von Belegungsrechten und in diesem Zusammenhang gezahlte Investitionszuschüsse nicht für eine Umsatzsteuerbefreiung in Betracht kämen. „Damit verteuert die Umsatzsteuer die Belegungsrechte um 19 Prozent“, rechnete Esser vor.
Eines haben die drei Ansätze für neues Mitarbeiterwohnen aber gemeinsam: Dafür werden Brachflächen oder ehemals gewerbliche Flächen benötigt, die für den Wohnungsbau reaktiviert werden müssen. Und es sind entsprechende Planungs- und Genehmigungsprozesse einzuhalten, um Baurecht zu schaffen. „Das ist nicht ganz trivial, wenn es z. B. um reine Gewerbeflächen geht“, sagte Esser. Und Martina Stengel ergänzte, dass die IHK Nürnberg für Mittelfranken neues Wohnen in ausgewiesenen Gewerbegebieten angesichts knapper Gewerbeflächen skeptisch bewertet.
Ralf Schekira, Geschäftsführer der wbg Nürnberg GmbH, berichtete im Webinar, dass es im Freistaat keine Fördermodelle für reine Werkswohnungen gebe. Die wbg unterhält dennoch mit der VAG und dem Klinikum Nürnberg zwei alte Kooperationsvereinbarungen, vergibt aber keine Belegungsrechte. Die Zusammenarbeit funktioniert so: Die wbg meldet den beiden Arbeitgebern freie Wohnungen in bestimmten Objekten, der Mitarbeiter schließt den Mietvertrag mit der wbg ab. Aktuell laufen mit VAG und Klinikum weitere Gespräche über Grundstücke, die grundsätzlich für weiteren Wohnungsbau geeignet wären. Dabei wird auch ausgelotet, ob etwa ein Erbbaurecht mit einem Vorschlagsrecht für die Belegung kombiniert werden könnte.
Dr. Sebastian Greim, Geschäftsführer der Eckpfeiler Immobilien Nürnberg GmbH & Co. KG, motivierte die Webinar-Teilnehmer, das Mitarbeiterwohnen „als strategisches und renditeorientiertes Investitionsmodell eines Unternehmens“ zu betrachten. Der Bau von Mietwohnungen könnte unter anderem auch wegen Steueroptimierung und vergünstigter Darlehen eine attraktive Anlage sein. Die freien Wohnungsunternehmen könnten den Arbeitgebern die Themen abnehmen, die eben nicht zu deren Kerngeschäft gehören. Greim nennt etwa die langwierige Aufgabe, Baurecht zu schaffen. Wenn es um 50 oder 100 Mieter geht, könnte ein Entwickler nach Investoren suchen, das Projektmanagement übernehmen und die Bereitstellung leisten. „Für den Konzern bietet sich dann entweder eine klassische Bestandhaltung als Investor oder eine Generalanmietung an“, sagte Greim.
Weitere Formen des Mitarbeiterwohnens
Neben Faber-Castell finden sich in Mittelfranken weitere historisch gewachsene oder neue Formen des Mitarbeiterwohnens. So verfügt der Versorgerkonzern Städtische Werke Nürnberg (StWN) heute noch über rund 100 Werkswohnungen aus der Zeit zwischen 1900 und den 1970er Jahren. Sie können vorrangig von Mitarbeitern der N-Ergie und der VAG genutzt werden. Die Vermietung erfolgt unbefristet und in der Regel zu marktüblichen Konditionen. Wenn es intern keine Nachfrage gibt, wird die Vermarktung auch nach außen geöffnet. Derzeit ist gut die Hälfte der Wohnungen von Mitarbeitern des Konzerns belegt.
Die StWN sehen in firmeneigenen Wohnungen einen Vorteil, um in angespannten Arbeitsmärkten qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden. Sie steigern die Attraktivität als Arbeitgeber, reduzieren Pendelzeiten und bieten vor allem neuen Fachkräften Unterstützung. Zusätzlich komme es bei Bewerbern für Stellen in technischen Bereichen, im Fahrdienst und in Führungspositionen sehr gut an, wenn sie Unterstützung bei der Wohnungssuche bekommen. Ein Neubau oder Kauf von weiteren werkseigenen Wohnungen ist für die StWN keine Option. Bei künftigem Bedarf soll eher ausgelotet werden, ob es Potenzial für Kooperationsmodelle mit der Wohnungswirtschaft gibt.
Ganz pragmatisch hat die Autohaus Oppel GmbH aus Ansbach auf fehlende Mitarbeiter reagiert. Zu Jahresbeginn hat Geschäftsführerin Susanne Oppel auf ihrem Betriebsgelände eine anders genutzte Wohnung wieder reaktiviert, um Fachkräfte aus dem europäischen Ausland einstellen zu können. „Es ist ein Notnagel, denn aktuell finden wir keine Mitarbeiter aus der Gegend“, begründet sie ihr Engagement. Für Beschäftigte aus dem Ausland ist eine passende Unterkunft ein entscheidendes Argument, auch wenn damit das Problem mit der deutschen Sprache noch nicht gelöst ist. Das Wohnrecht ist bei Oppel Bestandteil des Arbeitsvertrages. Perspektivisch kann sich die Autohaus-Chefin auch vorstellen, die Werkswohnung zu nutzen, um neue Azubis zu gewinnen.
Bei der Adidas AG in Herzogenaurach können neue Mitarbeiter vereinbarungsgemäß für zunächst vier Wochen in Apartments unterkommen. Gleichzeitig hilft der Sportartikelhersteller über seine Netzwerke, eine passende Wohnung zu finden, berichtet Tobias Rebholz von der Abteilung Global HR. Gerade den neuen Fachkräften aus dem Ausland helfe ein externer Dienstleister (sogenannter Relocation Service Provider) nicht nur bei Behördengängen oder beim Kauf eines Autos, sondern auch bei der Wohnungssuche. „Sonst würden die neuen Mitarbeiter gar nicht kommen.“ Pro Jahr gehe es hier um rund 500 neue Leute.
Einen anderen Weg geht die Siemens AG mit ihrem Siemens-Campus in Erlangen. Ergänzend zu den Forschungs- und Laborkomplexen soll auf weiteren rund 14 Hektar das Stadtquartier Süd entstehen. Gerade läuft der städtebauliche Wettbewerb, der bis zu 2 000 Wohnungen gestalterisch durchplanen soll. 30 Prozent der Wohnungen sollen geförderter Wohnraum sein, weitere Anteile sind für Studenten vorgesehen. Darüber hinaus sollen die Bedürfnisse von Familien und Senioren ebenso mitgedacht werden wie die hohe Zahl an Einpersonenhaushalten. Klar ist aktuell, dass dort keine Siemens-Werkswohnungen entstehen. Laut eines Siemens-Pressesprechers ist es allerdings denkbar, sich Kontingente beispielsweise für ausländische Mitarbeiter zu sichern.
Autor: Thomas Tjiang
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