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Nordeuropa in Nürnberg: Mikaela Jaanti (Auslandshandelskammer Finnland), Christiane Binsteiner-Foberg (AHK Schweden), IHK-Außenwirtschaftsexperte Christian Hartmann, Florian Schröder (AHK Baltikum), Mette-Kathrine Kundby (AHK Dänemark) und Sandra Niehusmann (AHK Norwegen; v. l.). 

Nicht nur geografisch liegen die nordeuropäischen Länder ganz oben: Auch bei internationalen Vergleichsstudien belegen sie regelmäßig Spitzenplätze – etwa bei Aspekten wie Attraktivität des Wirtschaftsstandorts, Innovation, Digitalisierung, Bildungsniveau und nicht zuletzt bei Lebensqualität und Glücksempfinden. Demnach leben die „glücklichsten“ Menschen der Welt im Norden Europas.

Diese Atmosphäre und die Offenheit für Neues schlagen sich auch darin nieder, dass in diesen Ländern die Zukunftsbranchen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) sowie erneuerbare Energien boomen. Sie machen die Volkswirtschaften zukunftsfähig und ergänzen die Stärken in „klassischen“ Branchen wie Automobilindustrie, Maschinenbau und Metallverarbeitung. Durch die hohe Kaufkraft bieten diese Länder auch sehr gute Absatz- und Kooperationschancen für deutsche Unternehmen. Dies waren Kernaussagen beim IHK-Forum „Nordeuropa im Fokus – technologische Trends und neue Kooperationspotenziale“, das im „Haus der Wirtschaft“ der IHK Nürnberg für Mittelfranken stattfand. Partner waren die deutschen Auslandshandelskammern (AHK) in Skandinavien und im Baltikum.

Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen verdienten eine größere Beachtung von Seiten der deutschen Wirtschaft, warb Florian Schröder, Geschäftsführender Vorstand der Deutsch-Baltischen Handelskammer in Tallinn. Sie seien wirtschaftlich überaus leistungsfähig und hätten interessante und vielfältige Absatzmärkte zu bieten.

Estland wird in internationalen Vergleichsstudien regelmäßig bescheinigt, dass es ein höchst wettbewerbsfähiges Steuersystem und mit die geringste Bürokratiebelastung hat. Das hängt u. a. damit zusammen, dass das Land die Digitalisierung seit 1997 intensiv vorantreibt. Damit ist es zu einer Vorzeigenation beispielsweise beim E-Government (digitale Abwicklung von Behördenvorgängen) sowie ein aufstrebendes IT-Zentrum geworden. Zentral für die Dateninfrastruktur ist die sogenannte „X-Road“, die das sogenannte „Once-Only-Prinzip“ ermöglicht: Daten müssen dem Staat also nur einmal gemeldet werden, über Schnittstellen können die jeweils zuständigen Stellen darauf zugreifen. Bei der Geburt erhalten die Bürger eine elfstellige Personenkennzahl, die sie dann für Online-Verwaltungsverfahren nutzen können. Auch bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen (E-Health) ist Estland ein Vorreiter, so gibt es dort seit Jahren das E-Rezept.

Kaum ein Land hat laut Schröder eine so hohe Dichte von sogenannten „Einhörnern“: Zehn solcher Start-ups mit einer Marktbewertung von über einer Mrd. Euro kommen auf nur 1,4 Mio. Einwohner. Dies sei in Deutschland noch nicht richtig angekommen, estnische IT-Unternehmen hätten es deshalb immer noch schwer, in Deutschland Fuß zu fassen. „Deutschland sollte endlich aufhören, Experimente bei der Digitalisierung zu machen und Erprobtes kopieren“, so der Rat von Schröder mit Blick auf die Vorbildfunktion Estlands.

In Lettland gibt es eine leistungsfähige Maschinenbaubranche, die intensiv in Automatisierung und Robotik investiert und damit ein wichtiger Partner der aufstrebenden lettischen Industrie ist. Die meisten der Maschinenbauer sind kleine und mittlere Unternehmen und vielfach in Marktnischen tätig. Die Regierung fördert derzeit intensiv den Aufbau von Kompetenzen für die Entwicklung, Herstellung und Wartung von Drohnen für militärische und zivile Zwecke. Schröder empfiehlt, die Deutsch-Baltische AHK anzusprechen, wenn es um die Vermittlung von geeigneten Geschäftspartnern geht. Insgesamt wachse die Wirtschaft derzeit kräftig, zudem sei Lettland das kostengünstigste der drei baltischen Länder. Trotz der Diskussionen über die starke russische Minderheit zeichne sich das Land durch eine hohe politische Stabilität aus.

Eine der Stärken von Litauen ist die weltweit mit führende Laserindustrie, die Laser für viele Anwendungsbereiche von Produktion bis Medizin herstellt. Ein Erfolgsfaktor ist die enge Zusammenarbeit der Wirtschaft mit der Wissenschaft – u. a. mit der Universität Vilnius, die seit den 1970er-Jahren die Laserforschung mitgeprägt habe. Auch die Automobilindustrie hat Litauen als Standort entdeckt, darunter die Zulieferer Hella und Continental. Seit Juli 2023 ist Vilnius die erste Stadt in Europa, in der eine Flotte autonomer Roboter Lebensmittel auf den belebten Straßen der Innenstadt ausliefert. Rewe International testet in Zusammenarbeit mit dem zur Rewe Group gehörenden Start-up LastMile sowie mit dem Start-up Clevon autonom fahrende Fahrzeuge. Zudem gibt es eine 100 Kilometer lange Teststrecke für autonom fahrende Lkw. Einen praktischen Ratschlag gab Schröder deutschen Geschäftsleuten mit auf den Weg, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten: „Verwechseln Sie nicht Litauen
mit Lettland!“

Dänemark: „Bei der Energiewende ist Dänemark Vorreiter. Und bei der Nutzung von Windkraft sind wir technologisch führend mit dem höchsten Anteil an Windenergie in der EU“, sagte Mette-Kathrine Kundby von der Deutsch-Dänischen Handelskammer in Kopenhagen. Das liege auch an der hohen Akzeptanz in der Bevölkerung und den transparenten Planungsprozessen. Die Regierung treibt die Projekte voran, die jedoch weitgehend von privaten Investoren getragen werden sollen. 

Mit einem kürzlich verabschiedeten Grundsatzbeschluss will die dänische Politik den reibungslosen Export von grünem Wasserstoff innerhalb Europas ermöglichen. Weil Deutschland als größter Abnehmer gesehen wird, soll in den nächsten Jahren eine Wasserstoff-Pipeline aus dem westlichen Dänemark nach Schleswig-Holstein gebaut werden. Kundby ging auch auf das Arbeitsklima in dänischen Unternehmen ein: „Die Dänen sind eine Kooperations- und Vertrauensgesellschaft. Wir haben Probleme mit detaillierten Plänen und arbeiten eher kreativ und flexibel. Familiäre Bedürfnisse werden immer berücksichtigt.“

Finnland: Auch das große, aber dünn besiedelte Finnland setzt voll auf Digitalisierung und zählt dabei ebenfalls zur Spitzengruppe, wie Mikaela Jaanti von der Deutsch-Finnischen Handelskammer in Helsinki berichtete. Entsprechend hoch ist auch die Dichte an Start-ups, insbesondere im IT-Bereich. Einen Eindruck davon gab im November letzten Jahres die „Slush“ – eines der größten Start-up- und Tech-Events in Europa mit rund 13 000 Teilnehmern. Aber auch klassische Branchen machen Finnland zu einem Top-Standort: Maschinenbau, Forstwirtschaft, Papierindustrie und Telekommunikation (u. a. Nokia) sind einige von ihnen. Laut einer AHK-Umfrage unter deutschen Unternehmen schätzen diese an Finnland u. a. die Qualität der akademischen Ausbildung, die flächendeckende gute Internet-Anbindung und die gute Zusammenarbeit mit den Behörden.

Zwei Zukunftsthemen geht die finnische Regierung strategisch an: Seit 2017 gibt es ein nationales Konzept für die Künstliche Intelligenz – mit Schwerpunkten auf dem Internet der Dinge (IOT) und Industrie 4.0. Zudem soll eine Wasserstoff-Wirtschaft auf der Basis der nationalen Roadmap von 2020 aufgebaut werden mit Schwerpunkten auf diesen Feldern: Produktion, Speicherung und Transport von Wasserstoff sowie Nutzung von Wasserstoff für grüne Chemikalien und Kraftstoffe.

Deutschland ist für Norwegen der wichtigste Import- und der zweitgrößte Exportpartner. Importiert werden vor allem Maschinen, Fahrzeuge und chemische Produkte, so Sandra Niehusmann von der Deutsch-Norwegischen Handelskammer in Oslo. Erneuerbare Energien und Klimaschutz sind wichtige Themen in Norwegen, das 88 Prozent des Strombedarfs durch Wasserkraft deckt. Mit einem Klimafahrplan soll die Industrie CO2-neutral und Norwegen führend bei Offshore-Windkraftanlagen werden. Die Solarnutzung bewegt sich dagegen auf niedrigem Niveau, weil die langen und dunklen Winter ein umfassendes Speichersystem voraussetzen würden.

Ein weiteres Ziel der Regierung ist eine durchgehende Wertschöpfungskette für die Batterieproduktion vom Rohstoffabbau bis zum Batterierecycling, um die Abhängigkeiten von China zu reduzieren. Dabei sollen die Funde von großen Mengen an seltenen Erden in Norwegen helfen. Und auch für die Herstellung von „grünem“ Wasserstoff will das Land eine komplette Wertschöpfungskette aufbauen. Stark gefragt ist das norwegische Know-how bei der Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO2 (CCS und CCU). CCS (carbon capture and storage) wird seit mehr als 15 Jahren in Norwegen angewendet.

Schweden: Durch die Größe des Landes haben intelligente Mobilitätslösungen einen großen Stellenwert, sagte Christiane Binsteiner-Foberg von der Deutsch-Schwedischen Handelskammer in Stockholm. Der Automobilsektor – mit einem Zentrum in Göteborg – verzeichne starke Zuwächse im Im- und Export. Dort gebe es viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit für deutsche Unternehmen.

Die Elektromobilität wird von der Regierung durch eine großzügige Förderpolitik, Steuererleichterungen und hohe Forschungsinvestitionen vorangetrieben. Volvo und Scania arbeiten eng mit der Technischen Universität Göteborg zusammen. Die Ladeinfrastruktur ist weit besser ausgebaut als in Deutschland, beispielsweise steht in Stockholm das größte Elektroauto-Parkhaus Europas. Pionierarbeit hat das skandinavische Land mit mehreren Pilotprojekten bei der Elektrifizierung von Straßen geleistet, darunter die weltweit erste temporäre Elektrostraße. Die Folge der konsequenten Elektro-Strategie: 25 Prozent der Neuzulassungen entfallen bereits auf Elektroautos. Überhaupt seien die Schweden sehr aufgeschlossen für technische Neuerungen und neue Geschäftsmodelle: Das sehe man auch an den vielen erfolgreichen digitalen Start-ups wie Similar Web, Klarna, Spotify oder Skype. 

Autorin: Antje Schweinfurth

Webcode: N781