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Welches Potenzial haben alternative klimaverträglichere Kraftstoffe? Über diese Frage wird seit Längerem trefflich gestritten. Die Diskussion hat auch deshalb Fahrt aufgenommen, weil ab 2035 in der EU nur noch Verbrennungsmotoren zugelassen werden, die beim Fahren kein Kohlendioxid (CO2) als Treibhausgas ausstoßen. In Wissenschaft und Industrie wird derzeit intensiv geforscht, welche Rolle synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, für den Klimaschutz spielen könnten. Vor diesem Hintergrund tauschten sich über 90 Fachleute beim IHK-Fachforum „Alternative klimaverträglichere Kraftstoffe | E-Fuels als Baustein der Energiewende“ in der IHK Nürnberg für Mittelfranken aus.

„Wir brauchen bezahlbare und versorgungssichere Lösungen für die nahe und spätere Zukunft.“ Das unterstrich Gastgeber Dr. Robert Schmidt, Leiter des IHK-Geschäftsbereichs Innovation | Umwelt. Zwar sei der Wirkungsgrad der Erzeugung von E-Fuels als chemischer Energieträger nicht besonders hoch, allerdings müssten alle Alternativen ausgelotet werden, um die von der Politik vorgegebenen Klimaschutzziele bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Bei aktuell rund 49 Mio. Kraftfahrzeugen in Deutschland – davon 2,3 Mio. Elektro- und Hybridfahrzeuge – sollte bei der Defossilisierung im Sektor Verkehr mehr Wert auf den gesamten Fahrzeugbestand gelegt werden. Alternative Kraftstoffe könnten und müssten Teil der Lösung sein, so Schmidt.

Bayerische Roadmap für den Wasserstoff

Im Freistaat Bayern sollen E-Fuels jedenfalls eine bedeutende Rolle spielen, wie Stefan Dürr erklärte. Der Leiter Innovation und Technologie beim Zentrum Wasserstoff.Bayern (H2.B) in Nürnberg verweist dabei auf die „Wasserstoff-Roadmap Bayern“: Diese geht davon aus, dass die Nachfrage nach Wasserstoff (H2) und Derivaten, wie eben E-Fuels, bis zum Jahr 2040 stark zunehmen wird. Das gilt vor allem für Bereiche, die schwer zu elektrifizieren sind: Ein Großabnehmer von Wasserstoff dürfte vor allem die chemische Industrie sein, der Bedarf an nachhaltigen Flugkraftstoffen (Sustainable Aviation Fuels SAF) könnte durch E-Fuels gedeckt werden. Die bayerische Roadmap sieht deshalb auch vor, die Kapazitäten für die Elektrolyse hochzufahren, um Wasserstoff und E-Fuels herzustellen. „Wasserstoff und seine Derivate sind der Sicherheitsgurt der Energiewende“, so Dürr. Wie sich der Bedarf an synthetischen Kraftstoffen entwickelt, liege aber an einer Reihe von Faktoren: Eine wichtige Rolle spielten der Preis und die Verfügbarkeit der Energieträger bzw. von deren Vorprodukten. Entscheidend sei außerdem eine entsprechende Infrastruktur für einen H2-Transport aus dem Ausland und für die Verteilung.

Welche Kraftstoffe sind nachhaltig?

Prof. Dr.-Ing. Markus Jakob, Direktor der Fuel Research Group an der Hochschule Coburg, plädierte für eine „Technologieoffenheit für Klima und Wirtschaft“. Insbesondere für die Industrie bestehe das Problem, dass es für grünen Strom aus Solar- oder Windenergie in Zentraleuropa nur „suboptimale Wetterbedingungen“ gebe. Global betrachtet wären rechnerisch Solaranlagen mit einer Fläche von 1 000 mal 1 000 Kilometern ausreichend (entspricht in etwa der Fläche Ägyptens), um den weltweiten Energiebedarf zu decken. Den Wasserstoff müsste man dort auf der Welt produzieren, wo dies am günstigsten möglich ist, und mit Methanol, LOHC (flüssige H2-Träger) oder Ammoniak als Transportmedium nach Deutschland einführen.

Jakob stellte auch die verschiedenen Alternativen für E-Fahrzeuge und Verbrenner vor. Seinen Berechnungen zufolge wäre aktuell ein Verbrennerfahrzeug, das regenerativen Kraftstoff nutzt, „die mit Abstand nachhaltigste Form des motorisierten Individualverkehrs“. Das ergebe die Analyse des spezifischen CO2-Gesamtausstoßes von verschiedenen Mobilitätsformen. In den Vergleich einbezogen wurden diese Fahrzeuge: Golf Diesel mit hydriertem Pflanzenöl (HVO), Golf mit Dimethylether (Methanol to Gasoline) sowie zwei ID3-Modelle mit einem Strommix aus Deutschland
und Frankreich.

Erneuerbare Kraftstoffe – reFuels

Außer E-Fuels, die mit Strom und aus Wasser und CO2 hergestellt werden, werden derzeit auch die Chancen von sogenannten reFuels diskutiert – also die Gruppe der synthetisch behandelten, erneuerbaren Kraftstoffe. Über den aktuellen Forschungsstand und über positive Erfahrungen aus der Praxis informierte beim IHK-Fachforum Igor Luchs, Gruppenleiter der Sparte Prototypenbau von der Bamberger Robert Bosch GmbH. Dazu gehören beispielsweise HVO100 oder auch der Dieselkraftstoff R33, der zu 33 Prozent aus biogenen Rohstoffen besteht. Die von Bosch getesteten Diesel-Autos seien mit beiden Varianten gut zurechtgekommen. Die Vorteile der reFuels sieht er unter anderem in der Energiedichte und der schon bestehenden Tankstellen-Infrastruktur. In Schweden sei etwa per Gesetz geregelt, dass Tankstellen HVO100 anbieten müssen. „Wir brauchen alles – E-Ladesäulen und die Palette der reFuels“, ist sich Luchs sicher. Denn Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor hätten am deutschen Fahrzeugbestand einen Anteil von über 95 Prozent. Angesichts einer Betriebsdauer von durchschnittlich knapp elf Jahren werde der Generationswechsel zum E-Auto lange dauern.

Luchs sprach zudem die Nachteile von E-Fuels an, u. a. die teilweise hohen energetischen Umwandlungsverluste bei der Produktion sowie die fehlenden großindustriellen Anlagen. Selbst die Pilotanlage Haru Oni im chilenischen Patagonien peilt für die Zukunft eine Jahresleistung von 550 Mio. Litern E-Fuels an. Das könnte etwa den Jahresverbrauch von ca. 600 000 Fahrzeuge in Deutschland decken, das seien allerdings nur 1,6 Prozent des deutschen Fahrzeugbestandes.

Den Blick nach Österreich richtete Dr. Stephan Schwarzer, Geschäftsführer der dortigen eFuel Alliance: Dort haben E-Fahrzeuge einen Anteil von 20 Prozent am Bestand. Allerdings verkaufen sie sich auch in Österreich nicht mehr so gut, weswegen Schwarzer Anzeichen für eine Marktsättigung sieht. Um den CO2-Ausstoß im Verkehr zu verringern, plädierte er für einen Mix aus E-Antrieb, Hybrid und hocheffizienten Verbrennern. Energieseitig liege die Lösung in einer Kombination aus fortschrittlichen Biotreibstoffen, HVO, „Fischer-Tropsch“-Produkten, Methanol und Ammoniak sowie Wasserstoff. Bei den E-Fuels gehe es auch in Österreich darum, die Produktion „hochzuskalieren“. Aber eine übermäßige Regulierung habe dies bisher verhindert. Von der Politik forderte er eine ehrgeizige E-Fuel-Strategie: „Denn synthetische Energieträger werden eine wesentliche Rolle bei einer sozial- und standortverträglichen Transformation des Mobilitätssektors spielen.“

Wasserstoff und E-Fuels sind wichtig, um bei nicht-fossilen Energieträgern im Straßenverkehr voranzukommen: Das findet auch Eric Woydte, Referent für Klimapolitik, Wasserstoff und Kraftstoffe beim Verband der Automobilindustrie (VDA). Der weltweite Pkw-Bestand erreichte 2023 fast 1,38 Mrd. Fahrzeuge, davon nur drei Prozent E-Autos. Eine Perspektive wäre die neue EU-Fahrzeugkategorie „Carbon Neutral Fuels“ (CNF), die vor allem mit E-Fuels aus erneuerbarem Strom betrieben werden und keine zusätzlichen CO2-Emissionen verursachen. Allerdings hätten die Pioniere, die mit der Wasserstoff- oder Derivate-Produktion beginnen, mit zahlreichen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen: Zum einen produzieren Pilotanlagen teurer, weil die Betreiber sie in einer Lernphase erst einmal optimieren müssen. Zum anderen machten ihnen unklare Förderpolitik und Regulatorik sowie unzureichende Abschreibungsmöglichkeiten das Leben schwer.

Wie könnte die „Molekülwende“ gelingen?

Rudolf Dieterich, verantwortlich für Business Development Renewables bei der Bayernoil Raffineriegesellschaft mbH, illustrierte die „Molekülwende“ am Beispiel seines Hauses. Diese bezeichnet die schrittweise Umstellung von fossilen zu erneuerbaren Kohlenwasserstoffen. Der Weg dorthin führe über ein „Co-Processing“ in der Raffinerie, bei dem Kohlenwasserstoffe aus Biomasse, Recycling und synthetischer Herstellung mit fossilen Rohstoffen kombiniert werden. „Es ist die Schlüsseltechnologie für die Herstellung treibhausärmerer Produkte.“ Ein Baustein ist der in Planung befindliche 125-Megawatt-Elektrolyseur, der am Standort Neustadt an der Donau jährlich bis zu 20 000 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und so die CO2-Emissionen um 230 000 Tonnen verringern soll. Eine öffentliche Wasserstofftankstelle soll zur Keimzelle für eine regionale Wasserstoffentwicklung werden. Derzeit warte man auf die Freigabe der Fördermittel für die Anlage. Für das Gelingen der „Molekülwende“ müssten aber auch zahlreiche andere Rahmenbedingungen beschleunigt werden, u. a. Klarheit bei den rechtlichen Regelungen, Planungssicherheit für langfristige Investitionen, verstärkte Nutzung von Biomasse und regionalen Abfallstoffen sowie Ausbau von Stromtrassen und von Wasserstoff- und CO2-Pipelines.

Stefan Rödl, Geschäftsführer der Rödl GmbH Energie aus Neumarkt in der Oberpfalz, warf einen Blick in die Praxis. Neben dem traditionellen Geschäft mit Energiehandel und Tankstellen ist sein Unternehmen seit zwei Jahren auch in Sachen E-Mobilität, Wasserstoff und Low Carbon Fuels aktiv, etwa mit HVO100, E-Fuels sowie den gasförmigen Kraftstoffen BioCNG und BioLNG. In den Niederlanden, Österreich oder Italien lasse sich bereits problemlos HVO100 tanken, auch in Deutschland seien die Mengen verfügbar. „Das Fatale ist, dass hier HVO100 und E-Fuels vom Gesetzgeber bewusst benachteiligt werden.“ Das sagte er auch mit Blick auf seine Kunden. So stünden Spediteure und Logistiker vor enormen Herausforderungen, weil sie die hohen Anforderungen von der EU-Taxonomie bis zum Energieeffizienzgesetz umsetzen müssten. Rödl selbst beteiligt sich mit einem Konsortium an einer Pilotanlage in Frankfurt, um voraussichtlich ab 2025 eine Mischung aus E-Fuels und Diesel herzustellen. Doch für neue Kraftstoffe gebe es praktisch keinen Platz an der Tankstelle, weil bestehenden Tanks mit gesetzlich vorgeschriebenen Kraftstoffen belegt sind. Daher wünscht er sich, dass die Politik Unklarheiten zur Genehmigungsfähigkeit von HVO-Anlagen beseitigt. Außerdem sollten CO2-Einsparungen bei der Energiesteuer und bei der Maut für flüssige Kraftstoffe anerkannt werden. 

Autor: Thomas Tjiang

  • Dr.-Ing. Robert Schmidt

    Leiter des Geschäftsbereichs Innovation | Umwelt; Grundsatzfragen Innovations-, Industrie-, Technologie-, Digital-, Energie- und Umweltpolitik

Webcode: N770