Die Kultur verstehen lernen!
Viele kulturelle und rechtliche Besonderheiten: Beim „Wirtschaftstag Indien“ gaben Experten Tipps für den Markteinstieg.
Indien boomt, dieses Jahr soll die Wirtschaft um etwa sechs Prozent wachsen. Deshalb ist der Subkontinent auch für deutsche Mittelständler interessant. Das spiegelt sich in der Außenhandelsstatistik wider: Im Jahr 2023 übertraf der bilaterale Handel zwischen Deutschland und Indien nochmals den Rekordwert des Vorjahres. Das Handelsvolumen stieg um fünf Prozent auf 33 Mrd. Dollar. Doch Unternehmen, die in Indien Fuß fassen wollen, müssen sich intensiv mit den komplexen Rahmenbedingungen des Landes auseinandersetzen. Das gilt auch für die kulturellen Unterschiede, so die Experten beim „Wirtschaftstag Indien“ der IHK Nürnberg für Mittelfranken.
Anne Krieckhaus von der Deutsch-Indischen Auslandshandelskammer (AHK) machte sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen des indischen Marktes deutlich. Sie verwies auf die lebendige Gründerszene mit Abertausenden technologieorientierten Start-ups, darunter über 100 sogenannte Unicorns mit einer Bewertung von über einer Mrd. Dollar. Optimismus lässt auch der Marktbericht „German-Indian Business Outlook 2024“ der AHK erkennen: Demnach planen drei Viertel der bereits in Indien ansässigen deutschen Unternehmen in den nächsten Jahren weitere Investitionen. Etwa die Hälfte von ihnen will Indien als Produktionsstandort für den indischen Markt, aber auch für weitere asiatische Märkte nutzen. Aber die Anforderungen beim Handel mit Indien seien nicht zu unterschätzen, so sei beispielsweise für einige Waren vor der Einfuhr nach Indien eine Zulassung der staatlichen Zertifizierungsstelle (Bureau of Indian Standards BIS) nötig.
„Indien hat immer neue Themen parat“, bestätigte Martin Wörlein, Leiter Beratung Indien und Südasien bei Rödl & Partner in Nürnberg. Der regulatorische Rahmen in Indien ändere sich häufig, um so sorgfältiger sollten die rechtlichen und steuerlichen Bedingungen beachtet werden. Das indische Recht sei an das englische „Common Law“ angelehnt, was den Vorteil habe, dass es zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem deutschen Recht gebe. Speziell für deutsche Mittelständler, die sich in Indien engagieren wollen, habe die indische Regierung die Initiative „Make in India Mittelstand (MIIM)“ ins Leben gerufen (www.makeinindiamittelstand.de). Wörlein empfiehlt, in der Anfangsphase eines Engagements in Indien persönlich vor Ort zu sein – und zwar bei der Errichtung eines neuen Unternehmens ebenso wie bei einer Übernahme oder einem Joint-Venture. Auch die indischen Kunden schätzten die persönliche Präsenz.
Rekrutierung von indischen Fachkräften
„Indien verfügt über einen großen Talentpool. Jedes Jahr strömen 12 Mio. top ausgebildete Arbeitskräfte aus jeder Berufsgruppe auf den Markt“, sagte Sonjoy Chaudhury, Senior Expert bei der Unternehmensberatung Dr. Wamser + Batra GmbH (WB Indien) in Bochum. Sie verfügten über hohe Arbeitsmoral und gute IT-Kenntnisse, viele seien an einer beruflichen Tätigkeit in Deutschland interessiert. „Doch setzen Sie dabei nicht nur auf die englische Sprache, sondern planen Sie den Erwerb der deutschen Sprache mit ein. Sonst ist das Ergebnis frustrierend für beide Seiten“, mahnte Chaudhury. Außerdem sollten die Lebensläufe der Kandidaten immer auf deren Wahrheitsgehalt überprüft werden, wobei professionelle Unterstützung in Anspruch genommen werden sollte. Wenn kleine und mittlere Unternehmen indische Fachkräfte einstellen möchten, sollte dabei immer der deutsche Geschäftsführer direkt eingebunden sein.
Arbeits- und Umweltschutz
„Das Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz, das für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz in den unternehmerischen Lieferketten sorgen soll, ist auch in Indien einzuhalten“, erklärte Franz D. Kaps, Associate bei der Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Frankfurt. Die jeweiligen Gesetze und Standards vor Ort seien selbstverständlich einzuhalten, zudem sollten die entsprechenden Handreichungen der lokalen Behörden umgesetzt und regelmäßig überprüft werden. Als Richtschnur könnten die Informationen des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) herangezogen werden (www.bafa.de/lieferketten/).
Allerdings werden die indischen Arbeitsgesetze, die sowohl von der Zentralregierung als auch von den Bundesstaaten erlassen werden, vom Staat häufig nicht effektiv durchgesetzt. Deshalb müsse den Aspekten Menschenrechte, Arbeitsschutz und angemessener Lohn besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, sagte Kaps. Der gezahlte Lohn, der in der Realität um bis zu 50 Prozent schwanke, müsse zum Leben vor Ort reichen. In Bezug auf die Menschenrechte seien Themen wie Kinderarbeit, Einhaltung der Ruhezeiten und Möglichkeit einer Kündigung relevant. Beim Arbeitsschutz sei der Maßstab indisches Recht. Doch müsse auf ausreichende Schutzmaßnahmen bei der Einwirkung durch chemische, physikalische oder biologische Stoffe geachtet werden. Auch was den Umweltschutz angehe, stehe Indien immer noch vor immensen Problemen – etwa in Bezug auf die Wasser- und Luftverschmutzung sowie die Abholzung der Wälder.
Kulturelle Gegebenheiten beachten
„Zeit und Geduld sind die Voraussetzungen für den Erfolg. Reisen Sie nicht mit Handgepäck“, rät Georg Graf, Regionalrepräsentant der Freudenberg-Gruppe für Indien aus Bangalore. Die Inder seien stolz und wollten für Verhandlungen den Inhaber sehen. Am Verhandlungstisch in Indien sei immer die Hierarchie entscheidend. Zusicherungen wie „I will do“, „by end of the week“ oder „we should meet“ müssten deshalb immer dahingehend hinterfragt werden, von wem sie geäußert werden. Auch würden in Indien gemachte Fehler mit der Person verknüpft, was leicht zu Schuld- und Schamgefühlen bei den Betroffenen führe. Vonnöten sei ein echtes Interesse und eine Erwartungshaltung auf realistischem Niveau. Man müsse das eigene Auftreten kritisch reflektieren und besonders auf Aspekte achten, die für die Zusammenarbeit wichtig sind wie beispielsweise Teamspirit.
Die indischen Kunden achteten sehr auf die Preise, zudem müssten die Unternehmen ihre Produkte und Kommunikationsstrategien sorgfältig auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Vorlieben der jeweiligen Zielgruppen zuschneiden. Das gelte natürlich für alle Märkte, aber das Besondere in Indien sei, dass der soziale Status der angesprochenen Kundengruppen der ausschlaggebende Faktor ist. Indische Unternehmen hätten naturgemäß ein besseres Verständnis für solche Besonderheiten. Für ausländische Anbieter sei es deshalb umso wichtiger, die Vorteile eines bestimmten Produktes durch erklärende (educational) Marketing-Strategien hervorzuheben. Ein Angebot werde bevorzugt, wenn die Marke Stolz und Wiedererkennung vermittle. Weitere Kaufkriterien seien Empfehlung von Familie und Freunden, Wünsche der Kinder, Werbung mit nationalen Besonderheiten (z. B. Bollywood, Cricket) sowie persönliche und emotionale Verbindung. (as.)
Deutsch-Indische Auslandshandelskammer (AHK): https://indien.ahk.de
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